: Galinski darf nicht reden
Streit um Gedenkveranstaltung des Bundestags zu den November-Pogromen Parlamentspräsidium wiegelt Rede-Einladung an den Vorsitzenden der Juden ab ■ Von Max Thomas Mehr
Berlin (taz) - Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden Deutschlands, Heinz Galinski, darf zur Erinnerung an die November-Pogrome von 1938 nicht vor dem Bundestag sprechen. Um die für den 10.November vorgesehene Gedenkstunde ist es jetzt zum offenen Streit zwischen der Fraktion der Grünen und den anderen Parlamentsparteien gekommen. Hubert Kleinert (Grüne), Mitglied im Ältestenrat des Parlaments, hatte vor Wochen schon mehrfach erfolglos versucht, in diesem Gremium eine Ansprache Heinz Galinskis durchzusetzen. Am Freitag vormittag wandte er sich im Namen seiner Fraktion mit einem Antrag ans Plenum des Bundestags, der die Aufforderung enthielt, Galinski bei der Gedenkveranstaltung nach der Rede von Parlamentspräsident Jenninger (CDU) um eine Rede zu bitten. „Unter Verletzung der Geschäftsordnung“, so Kleinert später in einer Presseerklärung, sei dieser Antrag vom amtierenden Parlamentspräsidenten Westphal (SPD) als unzulässig zurückgewiesen worden. Der Grünen-Politiker vermutet, das Bundestagspräsidium, insbesondere Parlamemtspräsident Jenninger (CDU), stehe unter erheblichem Druck rechter Kreise in der Union, denen die ganze Feierstunde nicht passe. Angeblich soll Jenninger gegen erheblichen Widerstand der eigenen Fraktion die Veranstaltung ermöglicht haben.
Kleinert versichterte in diesem Zusammenhang, den Grünen gehe es nicht um Wirbel ... Fortsetzung auf Seite 2
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in der Öffentlichkeit und parteipolitischen Hickhack. Sie würden auch weiterhin versuchen, eine Rede Galinskis zu ermöglichen, sähen aber nur noch die Möglichkeit, dies mit öffentlichem Druck durchzusetzen.
SPD-Vizeparlamentspräsident Westphal wies die Kritik Kleinerts zurück. Er bedauerte, daß der Streit um eine Rede Galinskis von der eigentlichen Bedeutung des Gedenktages ablenke. Es mache ihn traurig und beunruhige ihn zudem, daß eine so kluge Frau wie Frau Vollmer (Grüne) ein solches Thema öffentlich mache. Antje Vollmer hatte neben Kleinert noch am Donnerstag in einer Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern unterschiedlicher Fraktionen und dem Bundestagspräsidenten versucht, eine einvernehmliche Lösung zu erzielen. Ohne Erfolg. Daß die Grünen mit dem Streit an die Öffentlichkeit gingen, sei im übrigen, so hieß es aus Kreisen der Grünen Fraktion, mit Heinz Galinski vorher besprochen worden. Der Vorsitzende des Zentralrat der Juden war wegen einer Reise in die DDR selbst am Freitag nicht zu erreichen.
Immer merkwürdiger wurden die Begründungen, mit der die Entscheidung, Galinski nicht reden zu lassen, gerechtfertigt wurde. Die SPD verfiel auf formale Tricks und versuchte den Grünen selbst die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. So hatte Westphal die Behandlung von Kleinerts Antrag im Parlament unter anderem mit der Begründung abgelehnt, daß in der Ältestenratssitzung vom Vortag in Anwesenheit des Grünen Politikers angeblich „Einvernehmen“ über den Verlauf der Veranstaltung erzielt worden sei. Kleinert fühlt sich ob solcher Äußerungen regelrecht verschaukelt. Zugestimmt habe er am Vorabend lediglich dem Vorschlag, daß von Schauspielern Paul Celans Todesfuge rezitiert werde.
Auch der SPD-Politiker Conradi betonte in einer Pressemeldung, die Grünen hätten im Ältestenrat widerspruchslos dem Verlauf der Gedenkveranstaltung ohne Galinski zugestimmt. Andererseits geht aus Protokollen vom Ältestenrat hervor, daß bereits Mitte September und auch in folgenden Sitzungen Kleinert auf eine Rede Galinskis gedrungen hatte.
Gerüchteweise hatte Jenninger schon mit Rücktrittsgedanken gespielt, als klar wurde, daß die öffentliche Diskussion um die nicht vorgesehene Rede Galinskis nicht mehr zu verhindern war.
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