Mit der „Pusdorp“ bis Pusdorf

■ Leinen los für erste alternative Hafenrundfahrt / Schöne alte Fähre als Besichtigungsplattform / Über Zerstörung, Wiederaufbau, Ökologie und Container

Alternative Stadtrundfahrten gibt es zur Genüge: antifaschistische, antimilitaristische, ökologische - bis hin zur Weserabflußfahrt von Robin Wood. Nur die gähnend langweiligen Hafenrundfahrten waren bisher noch ohne Konkurrenz. Doch am Freitag hieß es „Leinen los“ für die erste

alternative Hafenrundfahrt, organisiert von der Arbeitsgemeinschaft Bremer Geschichtsgruppen und veranstaltet innerhalb der 3. Bremer Geschichtstage.

Mehr als 30 Passagiere sind an Bord der kleinen Fähre „Pusdorp“, die selbst schon ein Stück Geschichte ist. Von 1901 bis 1981 schipperte sie die Woltmerhauser zur Arbeit im Hafen, die Waller zum Freizeitgelände und zum einstigen Sandstrand nach Woltmershausen. Durch Begradigung und mehrfache Vertiefungen der Weser ist von dem Badeufer, der Flußlandschaft und den Biotopen nichts übrig geblieben.

Nach einigen Minuten Fahrt weseraufwärts kommt uns das Baggerschiff „Heinrich Hirdes“ entgegen. Und schon meldet sich der Bordlautsprecher zu Wort und erklärt, daß das Schiff dazu dient, Sand aus dem Flußbett und Schlick aus dem Hafenbecken zu baggern. Die schlammartigen Ablagerungen im Hafenbecken stellen eine Gefahr für das Grundwasser dar, da sie hoch mit Schwermetallen belastet sind.

An der seit 20 Jahren vor sich hin rottenden Atlas-Werken wird die Fahrt kurz gestoppt. Bei Kriegsende wies die Rüstungsschmiede mit 80 Prozent den größten Zerstörungsgrad im ge

samten Hafen auf. Dies lag daran, daß die Werke noch in den letzten Kriegstagen von „heldenhaften“ Soldaten besetzt und verteidigt und deshalb massiv von den Alliierten angegriffen wurden. Von den 71 Kränen funktionierten bei Kriegsende lediglich noch zwei.

Dann geht die Fahrt zum Europahafen in Walle. Im Mai 1945 war hier jeglicher Schiffsverkehr zum Erliegen gekommen, 65 Prozent der Kräne waren zerstört. Die Nazis wollten kurz vor Kriegsende sogar die Kaimauern sprengen, was ihnen jedoch nicht gelang. Die ersten Aufräumarbeiten liefen 1946 unter Geleit der USA, die den Hafen anfangs als Nachschub-Basis benutzen; erst später wurden die Bombenschiffe in Nordenham abgefertigt. Bremens Nachkriegs-Bürgermeister Wilhelm Kaisen setzte alles auf die Hafenkarte - mit Erfolg: Bereits in den 50er Jahren mußten die Schiffe in Zweierreihen auf das Löschen warten.

Heute hat der Europa-Hafen mit nur drei Prozent Anteil am Gesamtumschlag keine Bedeutung mehr. Die Hafenbecken sind tot. Am Freitag nachmittag ist nicht ein einziges Schiff zu sehen. So ist es nicht verwunderlich, daß es Forderungen gibt, das Hafenbecken ganz dicht zu machen und

neu für Gewerbe und Industrie zu erschließen. Am besten wäre es, so der Referent, eine Mischung von Kultur und Gewerbe herbeizuführen. In London etwa sei dies so gemacht worden. Das Gebiet um die alten Docks sei heute zu einer bevorzugten Wohngegend geworden.

Im Neustädter Hafen versank Anfang der 60er Jahre das Dorf Lankenau. Mehr als 500 Menschen mußten dem Container -Terminal weichen. „Die Großgrundbesitzer haben damals gut abkassiert, während die Kleinbauern auf Pachtflächen nur gering entschädigt wurden“, weiß die Stimme aus dem Lautsprecher. Auch die schöne blitzende Containertechnik selber hat ihre Kehrseiten. So werden Länder der „3. Welt“, die sich diese Technik nicht leisten können, vom Markt abgekoppelt. Auch für die Hafenarbeiter brachte die neue Technik enorme Belastungen.

Wer noch mehr wissen will über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der HafenarfbeiterInnen, über ökologische Fragen, und Industrieruinen, der muß bis zum Frühjahr warten, wenn es wieder heißt: „Leinen los zur alternativen Hafenrundfahrt“.

RaS