Swinging Metropolis

■ 3. Diverse Wesen

Leis verwaschen stellt sich der Begriff dar. „Das Wesen der Revue ist die Wesenlosigkeit. Das Wesen der Revue ist das an sich Undefinierbare“, hilfloselt Rudolf Kasten in einem Programmheft. Wurzelnd im tumben Trara des Militärwesens, bleibt's lang eine französische Angelegenheit, erst zur Jahrhundertwende marschiert die Revue in den deutschen & britischen Sprachgebrauch; die Amis konkurrieren mit Shows & Follies. Florenze Ziegfeld scheucht seine Girls ab 1907 auf die Bretter, John Tiller, Textilkaufmann aus Manchester, stellt die seinen bereits 1886 in die Startlöcher. Hierzu Alfred Polgars Prinzip: „Girls sind ein sogenanntes 'plurale tantum‘... Ein Girl gibt es nicht... Erst wenn sie ein Wesen mit vierundzwanzig Beinen geworden sind, führen sie den Namen zu Recht.“ Maurus Pacher weiß über die Perfektion des exakten Drills zu berichten, daß den Mädels Anstandsdamen beigestellt waren, die über die moralische Unversehrtheit zu wachen hatten sowie über ausgeschlafenes Erscheinen beim allmorgendlichen Exerzieren (siehe Militärwesen). Das flotte Resultat dürfen die Berliner erstmals zwischen 1896 und 1898 bestaunen, und zwar in Herman Hallers Olympia Riesentheater im Circus Renz.

Ansonsten bilden circensische Artistik inklusive tierischer Sensationen zunächst die Vorhut in Sachen Variete & Revue. Ernst Renz & Paul Busch sorgen aufwendig, mit pompösen Kostümen & technischen Effekten fürs Ergetzen des wilhelminischen Publikums. Werbetext zur Produktion „Mazeppa“: „Große historische Scene, von allen Herren und Damen der Gesellschaft ausgeführt, mit vielen im Naturzustand aus dem Gebirge kommenden Rossen und einem eigens dazu dressierten Pferde und verschiedenen Nationaltänzen. Am Schluß: das Pferd des Mazeppa, auf einer Bahre hereingetragen von 24 Mann bei bengalischer Beleuchtung.“ Dies heißt man Zirkuspantomime, als Steigerung wär die Wasserpantomime zu nennen, da Fontänen in die Kuppel spritzen hoch über planschend Mensch & Getier. Reichlich später, 1928, wird in James Kleins Revue Donnerwetter tausend Frauen erneut spektakulär Maritimes geboten werden: Hans Albers springt vom Kronleuchter in ein Wasserbecken, um flugs drauf zu aller Verblüffung tadellos trocken im Frack zu erscheinen.

Im ständigen Clinch um bühnentechnische Neuerungen setzt Richard Schulz, Direktor des Central-Theaters, gigantomanische Zeichen. Vermittels Durchbruch zum Garten ermöglicht er Inszenierungen mit echter Wildsau, mehreren sie verfolgenden Reitern, mit Kinderschar & Hunden, Ziegen, Schafen, Eseln, Pferden. Wirkend im naturalistischen Wahn, engagiert er Nutten aus den berüchtigten Blumensälen und den Bestand einer Kairo-Ausstellung: Derwische, Bauchtänzer, Maulesel, Kamele. Nach fünf Jahren zieht der ehemalige Schauspieler um, verlegt sein Wirken ins Metropol in der Behrensstraße, im heutigen Osten, wie das Gros jener Spielstätten. Dort läßt er erst einmal gegen geringes Entgelt Prostituierte ins Theater, um im Promenoir die Herrenwelt zu unterhalten. Na also, da haben wir's wieder!

Auch nicht gerade pingelig geht's im Wintergarten zu. Der Laden gilt als „ultra-chik“, zumal hier als Neuerung Raucherlaubnis besteht. Mal abgesehen von Kontakten männlicher Oberschichtler zu den weiblichen Starlets ist auch manche Darbietung gut fürs tägliche Skandälchen. Nehmen wir die amerikanische KindFrauTruppe 5 Sisters Barrison. Mit ihren pseudo-lasziven Tänzen schafft sie es bis zum Prozeß wegen „Unmoral“. Der kaiserlich sanktionierte Philister treibt dabei sein buntes Unwesen, und alle haben ihren Spaß dabei.

Norbert Tefelski