Grenzen schließen?

■ Der AL-Abgeordnete Volker Härtig stellt die AL-Forderung nach „offenen Grenzen“ in Frage

taz: Du hast am Donnerstag dem Senat vorgeworfen, er sehe nicht die Folgeprobleme der Zuwanderung aus der DDR und Osteuropa. Was sind denn das für Folgeprobleme?

Volker Härtig: Bei den Zuwanderungszahlen, mit denen der Senat rechnet, gibt das eine katastrophale Wohnungsnot und damit einen enormen Druck auf die Mieten. Das trifft immer zuerst die Einkommensschwachen. Zweitens: Das Geld für den nötigen Wohnungsbau würde der Landeshaushalt nie und nimmer hergeben. Drittens schafft dieser Wohnungsbau ungeheure ökologische Folgeprobleme. Mit der autofreien Stadt könnten wir eines Tages Ersatz-Freiflächen im Straßenraum gewinnen. Die Aussiedler kommen aber jetzt.

Was also tun?

Das ist ein sehr kniffliges Problem. Denn einerseits haben die Aussiedler ein verbrieftes Recht, hierher zu kommen. Andererseits werden diese Leute von der Bundesregierung auch ganz gezielt geholt, mit einer Art Kopfgeld etwa.

Findest Du es denn falsch, Menschen zu besseren Lebensverhältnissen zu verhelfen?

Das ist natürlich nie falsch. Aber hier wird eine sehr zynische Politik gemacht. Mit der Wohnungsnot werden das gar keine so tollen Lebensverhältnisse. Und ich finde es fragwürdig, aufgrund einer Deutschtümelei blindwütig einen großen Bevölkerungsanstieg herbeizureden und politisch zu unterstützen. Denn die gleichen politischen Kräfte haben die Grenzen dicht gemacht, als vor wenigen Jahren Menschen aus lebensbedrohenden Situationen hierher kommen wollten.

Wenn die Flüchtlinge die Rechte gehabt hätten, die die AL für sie gefordert hat, wären diese Proble- me auf Berlin doch genauso zugekommen.

Angesichts der Probleme, die ich skizziert habe, ist eben die Frage, ob eine Politik der offenen Grenzen machbar ist. Es ist doch die Frage, ob man das Wohlstandsgefälle nicht besser durch entsprechende Wirtschaftshilfen abbaut.

Warum sind überhaupt die Aussiedler Dein Problem? Genauso viele Zuwanderer kommen doch immer noch aus Westdeutschland und ab 1993 auch aus der EG.

Ich frage mich, ob man angesichts der Situation auf dem Wohnungsmarkt nochmal das selbe draufsatteln kann. Aber das sind alles Fragen, über die man jetzt nachdenken muß.

Wie steht die Gesamt-AL dazu?

Beschlußlage ist natürlich die Forderung nach „offenen Grenzen“. Das wird aber durch die aktuelle Entwicklung in Frage gestellt.

Interview: Hans Martin Tillack