Bundes-Berliner

■ Totalverweigerer, der in Berlin lebt, soll in westdeutschen Knast und wieder einberufen werden

Der Totalverweigerer Gerhard Scherer lebt seit einem Jahr als Musiklehrer in Berlin. Er soll ins Gefängnis, weil er vor sechs Monaten in Westdeutschland wegen Zivildienstflucht verurteilt wurde. Ursprünglich sollte er heute in Moabit seine Haft antreten, doch am Freitag bekam die Justizverwaltung kalte Füße und entschied, daß die Haft wegen des besonderen Status der Stadt hier nicht vollstreckt werden darf. Falls Gerhard Scherer nun in der Bundesrepublik ins Gefängnis muß, muß er mit einer erneuten Einberufung rechnen. Sein Anwalt will deshalb erreichen, „daß ein Berliner nicht gezwungen werden darf, diese Strafe in der BRD zu verbüßen“.

Im Frühjahr '85 war Scherer als KDVler anerkannt und zum Zivildienst einberufen worden. Nach neun Monaten in einem Langzeitkrankenhaus brach er seinen Zivildienst ab: „Auf den Lehrgängen für Zivildienstleistende habe ich Einblick bekommen in die Zusammenhänge zwischen militärischer Planung und Zivildienst“, sagt er, und verweist etwa auf §79 im Zivildienstgesetz, wo die Einberufung von KDVlern im „Verteidigungsfalle“ vorgesehen ist.

All diese Bedenken teilte er dem Bundesamt für Zivildienst mit und zog im Oktober '87 nach Berlin, weil ihn dort eine Anstellung erwartete. In der BRD stand er unterdessen zweimal vor Gericht: zuerst vor einem Amtsgericht in Baden -Württemberg, das ihm jedoch auf Bewährung freisprach. Doch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung, und im Mai dieses Jahres verurteilte ihn das Landgericht Rottweil zu fünf Monaten Gefängnis. Die Bewährung wurde ihm jetzt mit der Begründung versagt, daß er auch einer erneuten Einberufung nicht Folge leisten und darum bald wieder straffällig würde: „Der Angeklagte hat mit einer neuen Einberufung zu rechnen. Dadurch, daß er nun seinen Wohnsitz in Berlin hat, ist seine Pflicht, Ersatzdienst zu leisten, nicht erloschen.“

Nun muß Gerhard Scherer damit rechnen, daß ihn die Vollstreckungsbehörde in Rottweil zum Haftantritt in der Bundesrepublik lädt und daß er bald im Fahndungsbuch steht, falls er der Ladung nicht nachkommen sollte. Das will sein Anwalt Udo Grönheit verhindern. Sein Argument: Der bisherige Einberufungsbescheid habe sich ja erschöpft, und somit könne die Haft in Westdeutschland von den Militärbehörden dazu benutzt werden, Gerhard Scherer einen neuen Einberufungsbescheid zuzustellen und einen Berliner der Wehrpflicht zuzuführen.

Ursel Sieber