: Die Ware Kunst
■ Zweiter Markt der Bühnenkünstler in der Grande Halle-La Villette in Paris
Paris, Mitte Oktober. Etwa 50 Meter vom Eingang der ehemaligen Schlachthalle von Paris entfernt hält eine dunkle Limousine. Genau bis zum Wagenschlag reicht der rote Teppich, der ausgerollt ist, um Jack Lang - französischer Kultusminister - aus der rechten Distanz an das Eröffnungsspektakel heranzuführen. Die Tristesse der Vorstadt ist inzwischen in der abendlichen Dunkelheit verschwunden. Nur die Halle aus Glas und Stahl, illuminiert von Feuerwerk und Spotlights, steigt aus künstlichen Nebelschwaden wie aus dem Nichts hervor. Unter dem First des Vordaches ergeht sich ein neon-bunt ausgeschäumtes Kunstvolk mit eiskaltem Lächeln, darunter empfangen Kunstrasen und Lorbeerbäume in gedämpfter Beleuchtung den Besucher, bevor er ins grelle Licht der Fleischmarkthalle tritt. Jack Lang nimmt telegen lächelnd Werbebroschüren und Förderungsgesuche entgegen, während er im Zickzack durch die Halle geführt wird - M.A.R.S. ist eröffnet, der Marche International des Arts de la Scene, ein Markt für Bühnenkünstler und ihre Agenten, die in der Halle ihre Stände aufgebaut haben wie auf der Buchmesse.
Daß es auf dem Marche um rein kommerzielle Interessen ging, daran ließen weder die Veranstalter noch die Aussteller zweifeln. Werbebroschüren, Demo-Kassetten und Videofilme an jedem Stand gaben hinreichend Möglichkeiten, sich über die Ware Kunst zu informieren. Auf Videoschirmen oder gleich live konnte man die Künstler als geschickte Verkäufer ihrer selbst erleben. Die französische Gruppe „Kumulus“ spielte täglich für drei Stunden das Leben der primitiven Menschen im Showkäfig. Sie sahen aus wie eine Mischung aus mittelalterlichen Gefangenen und Affen. Wärter, gekleidet wie die französischen Museumswächter, führten die in Gummiteile gekleideten „Squames“ in ihren mit Gummi ausgelegten würfelförmigen Käfig. Dort erfüllten sie als Affen die Erwartungen der Zuschauer. Eine scheinbar kritische Auseinandersetzung mit der Veranstaltung und ein Angebot an die Käufer.
Auf dieser Messe, die ausschließlich für Fachpublikum zugänglich war, wurde täglich eine Fülle von Live -Veranstaltungen angeboten, die allerdings zuvor von einer nationalen Jury ausgewählt worden waren. In den alten Unterhaltungstheatern des Montmartre konnte man sich die abendfüllenden Tanz- und Theateraufführungen ansehen. Im sogenannten Showcase - einer Konzertarena innerhalb der Halle - spielten kleinere Rock-, Tanz-, Jazz- und Theatergruppen, an einigen Tagen sogar gegen die Preßlufthämmer von der Baustelle „La Villette“ an.
Die Rechnung der M.A.R.S-Planer ging auf: Wer etwas Neues kennenlernen wollte, der fand auch was. Dazu gehörte auch der Austausch von Informationen, Treffen von Festivalveranstaltern und Diskussionen über Radioprogrammplanung und Sponsoring. Obwohl bei der Radiodiskussion Vertreter kommerzieller Sender unter sich waren, wurde der Trend deutlich: Konzerte werden in zunehmendem Maße nur noch veranstaltet oder mitgeschnitten, wenn sich vorher ein Geldgeber findet. Die Engländer sind in diesen zweifelhaften Fortschritt schon am weitesten hineingetrieben. Die Situation der weniger marktangepaßten Künstler war in diesem Kreis kein Thema.
Allerdings scheinen unangepaßte Ideen für den kommerziellen Konzertbetrieb kein Hindernis zu sein. Im Gegenteil, die Einkäufer begegneten den Künstlern unvoreingenommener, als man es hierzulande in der institutionalisierten Subkultur gewohnt ist. Die starke Präsenz anderer EG-Länder (für die der Markt eigentlich gedacht war) veranschaulichte, daß dort, wie bei den bildenden Künstlern schon lange, die Bühnenkünstler kein Problem sehen, ihren Körper auf den Markt zu tragen. In Deutschland, mehr als anderswo, gelten öffentliche Subventionen als sauberes Geld. Dieses System der Künstlerfinanzierung durch staatliche Institutionen kam dem wenig konsumoriernterten Denken vieler Künstler entgegen. Ständige Kürzungen im staatlichen Kulturbudget lassen auch die Bühnenartisten umdenken.
Die weltweite Vermarktung, wie sie die Franzosen mit M.A.R.S. International betreiben, gibt freien Gruppen mehr Chancen, sich durch ihre kreative Arbeit auch den Lebensunterhalt zu verdienen. In diesem ersten Jahr mit bundesdeutscher Beteiligung gab es in Paris mehr deutsche Einkäufer als Aussteller. Falls sich bis nächstes Jahr Geldgeber finden lassen, werden vielleicht auch eine Reihe junger BRD-Künstler die Chance bekommen, über den nationalen Tellerrand hinaus Aufführungen zu erhalten.
Auch zwei Vertreter des sowjetischen Komponistenverbandes waren da. Umschwärmt von Käufern und Verkäufern wie sonst niemand fühlten sie sich sichtlich wohl im Super-„Marchee des Arts“. Schließlich will jeder beim russischen Kunst -Öffnungsspiel einen Läufer im Feld haben.
Clair Lüdenbach
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