Nord-CDU: „Von der Presse krankgeschrieben“

Nach der Barschel-Affäre und der schwersten Wahlniederlage in vier Jahrzehnten bekräftigt die Kieler CDU alte Wahlaussagen / Profilierte Gegner Stoltenbergs bleiben in Deckung / Aufstand der Basis am Buffet  ■  Aus Travemünde Petra Bornhöft

Um 11.03 Uhr poltert es leise auf dem Podium, wo der Landesvorstand der schleswig-holsteinischen CDU sitzt. Plötzlich verstummt das Gebrabbel und Zeitungsrascheln im Saal: Stoltenberg ist zu Boden gegangen, vom Stuhl gefallen. Nach einer Schrecksekunde springen seine Nachbarn auf, greifen dem verschwundenen CDU-Landesvorsitzenden unter die Arme und ziehen den Mann unter der Tischdecke hervor. Krebsrot taucht er auf und murmelt: „Das war nur ein Ausrutscher.“ Bewegungslos verharren die rund 300 Delegierten - rund 100 blieben dem Landesparteitag im Nobelhotel von Travemünde fern. „Früher hätten die sich zu stehenden Ovationen hinreißen lassen“, meint ein langjähriger Beobachter der Partei. Aber nach der Kieler Affäre, dem schlechtesten Wahlergebnis in vier Jahrzehnten und dem durch den angeblichen Barschel-Brief ausgelösten neuerlichen Wirbel wankt der Thron des „Prunkstücks der Politik“, wie Norbert Blüm den „lieben Gerhard“ nennt.

Seit Wochen hatte sich die Parteispitze bemüht, den Landesvorstand und speziell Stoltenberg aus der Schußlinie zu bekommen. Auf eigens einberufenen Regionalkonferenzen durfte das Mittelmaß von der Basis Dampf ablassen. Nun aber, so MdB Rolf Olderog, „kann das an der Basis mit dem Nörgeln an der Partei und ihrem Vorsitzenden nicht mehr so weitergehen“. Schließlich sei Stoltenberg „das größte Kapital, das die Partei hat“.

Nach nunmehr 17 Jahren Regentschaft über die Nord-CDU präsentiert sich Stoltenberg wie eh und je. Bei der SPD vermag er nichts anderes als die „harte sozialistische Politik“ zu erkennen. Der zweite Feind sitzt in den Medien. An ihren „Versuchen, die Geschichte Schleswig-Holsteins zu unseren Lasten umzuschreiben, beteiligt sich aber auch der eine oder andere hier, der die Geschichte gar nicht miterlebt hat“, sagt Stoltenberg, den Blick auf das Podium gerichtet, an dessen Rand Trutz Graf Kerssenbrock die FAZ studiert. Ganz im Sinne des Chefs und einer klatschenden Zweidrittelmehrheit sagt Landesvorstandsmitglied Mathias Stern: „Diese Partei ist von der Presse krankgeschrieben worden. Sie ist gesund.“

Soviel „Beschönigung und Gesundbeterei“ des schwer angeschlagenen Vereins mag Kerssenbrock nicht aushalten. Taktisch geschickter als früher fragt er: „Dümpeln wir nicht seit einem halben Jahr ängstlich vor uns hin?“ Der Beifall zeigt, daß der Graf die Stimmung vieler Delegierter auf den Punkt bringt. Aber der Außenseiter der Partei bleibt vorsichtig, fordert nur verhalten einen „gewissen Wechsel an der Parteispitze“. Er vermißt die CDU-„Vision für eine Gesellschaft von morgen“. Sichtlich überfordert rutschen die Dithmarscher und Ostholsteiner auf ihren Stühlen. Doch Stoltenberg nickt zustimmend bei Kerssenbrocks Worten über die „Alternative zwischen demokratischem Sozialismus und sozialer Marktwirtschaft“ und sagt zufrieden: „Ich fühle mich in dieser Landespartei unverändert gut aufgehoben.“ Deutlicher hätte er seinen Anspruch auf eine erneute Kandidatur für den Vorsitz beim nächsten Parteitag im April 1989 nicht formulieren können.

Nachdem Norbert Blüm eine geschlagene Stunde den Entertainer gespielt hat, stürmt alles zum Buffet. „Mir brummt de Kopp vun all dat Gesabbel“, stöhnt ein hungriger Bauer in der endlosen Schlange. Wütend nimmt er zur Kenntnis, daß der Schweinebraten schon weg ist und ein Aalbrot mit Krautsalat 15 Mark kostet. Es droht eine Meuterei. Harte Kritik trifft die Parteispitze, und der „gesellige Schleswig-Holstein-Abend“ mit dem „Waterkantduo Hansen und Paulsen“ ist nach hastigem Leeren der Teller beendet.

Unterdessen schlägt sich die Antragskommission mit der Bearbeitung der Anträge zu zwei Leitanträgen die halbe Nacht um die Ohren. Umsonst. Rund 25 Prozent der Delegierten wollen das flachsinnige Papier zur Parteiarbeit zurückverweisen. Ein Redner aus Neumünster fragt höhnisch, wie lange der Vorstand an dem programmatischen Satz gearbeitet habe, „die CDU hat am 8.Mai eine schwere Wahlniederlage erlitten“. Wenig später ist Stoltenbergs Gesicht mit den hektischen roten Flecken übersät. „Blanker Hohn“, so ein Redner, sei die Aufforderung, Wahlen rechtzeitig vorzubereiten. „Was sonst ist die Aufgabe des Landesvorstandes?“ ruft der CDU-Kreisvorsitzende in den Saal. Jetzt wird es Stoltenberg zu bunt. Außer der Reihe ergreift er das Wort, und fällt über die Kritiker her. Trotzdem beharren sie auf ihrem Antrag, ein absolutes Novum. Gleichwohl unterliegen sie in der Abstimmung.

Aber sie geben nicht auf. Bei der Debatte über den Leitantrag zur Landespolitik empören sich einige Redner über die „Zusammenfassung von Platitüden“ des letzten Wahlkampfes. Vor Journalisten präzisiert Stoltenberg später den Unterschied: „Die Fassung des Wahlprogramms im Frühjahr war knapp.“ Rätselhaft bleibt, worauf Stoltenberg seine mindestens zwanzigmal wiederholte Auffassung gründet: „Die CDU ist seit der Sommerpause einen wichtigen Schritt vorangekommen.“ Müde verlassen etliche Delegierte lange vor Ende die Versammlung. Unter ihnen ein ranghoher Politiker. „Wie schätzen Sie das Ergebnis ein?“ will die taz wissen. Ein langer Blick als Antwort und dann der Satz: „Genauso wie Sie.“