Zweierlei Tote

■ Israel: Wahlkampf und Intifada

Wenn in den von Israel besetzten Gebieten die Zahl der während des Aufstands getöteten Palästinenser die runde Zahl 300 erreicht, dann ist das der internationalen Presse eine Kurzmeldung wert. Der Tod in Gaza, in Hebron oder Nablus ist alltäglich geworden. Ein von Schüssen getroffener palästinensischer Teenager ist nicht nur keine bemerkenswerte Nachricht. Sein Tod bewirkt keine politische Veränderung mehr.

Der Tod der vierköpfigen jüdischen Familie in einem Autobus bei Jericho dagegen wird unabsehbare Folgen haben. Am Tag vor den Wahlen in Israel beweist der Anschlag, daß die Sicherheit der jüdischen Bürger Israels eben nicht durch Besatzung, Plastikgeschosse und Prügel zu gewährleisten ist, wie es die Rechte immer wieder zu suggerieren sucht. Das Leben der Familie wäre nie in Gefahr gewesen, wenn die Gebiete nicht besetzt wären. „Sicherheit für Israel“, so lautet die Parole vom Likud, mit der die Hardliner die Besatzung begründen. Gestern wurde dieses „Argument“ als Lüge überführt.

Dennoch ist zu befürchten, daß der Tod bei Jericho die israelischen Wahlen nach rechts beeinflußt. Der Anschlag dient den Scharfmachern als Bestätigung für ein einfaches Weltbild - hier wir, dort die Feinde, die es mit noch mehr Militär und Bestrafungsaktionen unter Kontrolle zu halten gilt. Dafür, daß die Parolen vom Likud bei den Wählern auf so fruchtbaren Boden fallen, trägt die Arbeiterpartei Mitverantwortung. Denn auch sie setzt mit Verteidigungsminister Rabin seit langem mehr auf die Peitsche als auf das Zuckerbrot. Auch sie verweigert Gespräche mit denjenigen, die für die Intifada stehen: mit der PLO und den jugendlichen Steinewerfern. Als Alternative zu Besatzung und Militär bietet Shimon Peres, Chef der Arbeiterpartei, etwas weniger Besatzung und etwas weniger Militär an. Die Behauptung, die besetzten Gebiete schützten die Sicherheit des „Kernlands“ Israel, variiert er nur, anstatt sie zu bekämpfen.

Bei diesen Alternativen ist es wahrscheinlich, daß die meisten Wähler sich für die Partei entscheiden, die ihnen mit noch mehr Militär verspricht, den Palästinenseraufstand zu brechen und am Status quo nicht zu rütteln. Die Illusion, als Besatzungsmacht könne Israel auf Dauer Frieden mit Nachbarn und Palästinensern haben, ist ungebrochen.

Klaus Hillenbrand