Frauen als Rohstoffreservoir der Gentechnik

■ In Frankfurt diskutierte ein internationaler Frauenkongreß über „Fortschritte“ der Gentechnologie

Womit sind Frauen angesichts einer Entwicklung konfrontiert, bei der künstliche Besamung, In-vitro-Befruchtung und Leihmütterschaft immer mehr der industriellen Produktion gleichen? Warum stellen Frauen ihren Körper als „Rohstofflager“ für Gentechniker zur Verfügung, und wie kann man dem entgegenwirken? Fragen, die am Wochenende in der Frankfurter Universität diskutiert und mit einer klaren Absage an die Intentionen der Gen- und Fortpflanzungstechnologien beantwortet wurden.

Ein trockener Knall, Funkenregen. Rauchwolken steigen auf, Frauen fliehen einen unterirdischen Gang entlang. Hinter ihnen zurück bleibt ein zerstörter Großrechner, das „Gehirn“ eines Genforschungsinstituts. Showdown des australischen Spielfilms On guard. Es geht darin um den militanten Widerstand von Frauen gegen Gentechnologie. Diese Szene geht mir seit Frankfurt nicht mehr aus dem Kopf.

Über 2.000 Frauen kamen dort vergangenes Wochenende an der Universität zum zweiten bundesweiten Kongreß gegen Gen- und Reproduktionstechnologie, den das Feministische Frauengesundheitszentrum Frankfurt zusammen mit dem Verein für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen (Köln) dem Gen-Archiv Essen, Finnrage und anderen organisiert hatte.

Anlaß des Kongresses war die Kriminalisierung radikaler Gegnerinnen und Kritikerinnen von Gen- und Reproduktionstechnik sowie Bevölkerungspolitik, die Verhaftungen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl vergangenen Dezember. Weitergeführt wurden die Diskussionen, die 1985 auf dem ersten Bundeskongreß begonnen und eine große Zahl von Frauen gegen die neuen Technologien mobilisiert hatten. Überall sind neue Gruppen enstanden, und international wächst die Vernetzung. Es hat Kampagnen, Veranstaltungen, Aktionswochen gegeben - manchmal auch Erfolge. So konnte zum Beispiel verhindert werden, daß eine amerikanische Leihmutteragentur in Frankfurt eine Filiale eröffnete.

Diskutiert wurde in über 50 Arbeitsgruppen und unter vier Schwerpunkten: internationale Bevölkerungspolitik, Naturwissenschafts- und Technologiekritik, Selbstbestimmung und Legalisierung der Reproduktions- und Gentechnologien. Auch aus Asien, Afrika und Lateinamerika waren Referentinnen angereist, die durch Beispiel in ihren Ländern, meist im Bereich Bevölkerungspolitik, deutlich machten, daß die neuen Technologien Frauen auf der ganzen Welt treffen und betreffen. - Das Spektrum an Fragestellungen und die Fülle an Informationen weckte in manchen Teilnehmerinnen den (heimlichen) Wunsch nach einer Zellteilungsmethode, um gleichzeitig an mehreren Arbeitsgruppen teilnehmen zu können.

Gut belegte Hörsäle und volle Seminarräume gab es nicht nur dort, wo bekannte Frauen wie Paule Bradish, Renate Klein, Maria Mies oder Gerburg Treusch-Dieter referierten.

Ein neues Beispiel dafür, wie die Gentechnologie in die Bevölkerungspolitik eindringt, brachte zum Beispiel die Ärztin Ana Gomes dos Reis aus Brasilien mit. Seit Mitte der 70er Jahre läßt die Weltgesundheitsorganisation WHO einen genetisch hergestellten Antischwangerschaftsimpfstoff erforschen. Er soll das Immunsystem der Frauen dazu bringen, Antikörper gegen das Schwangerschaftshormon zu produzieren und so zu frühen Abbrüchen führen, ein Eingriff, von dem die Ärztin befürchtet, daß er zu dauerhafter Sterilität führt. Der Begriff „Bevölkerungsexplosion“ in der sogenannten Dritten Welt suggeriere, so die Referentin, daß Kinderkriegen eine „Epidemie“ sei, die mit Massenimpfungen bekämpft werden müsse. Nachdem der neue Impfstoff bereits an Frauen in Australien getestet wurde, sollte auch in Brasilien eine Testreihe durchgeführt werden. Doch dem Engagement von Ana Gomes dos Reis und anderen Frauen ist es zu verdanken, daß die WHO dafür keine Erlaubnis bekam.

Das ungeheuer schnelle Wachstum der neuen Technologien verlangt weltweit nach gesetzlichen Regelungen. Darüber sind sich Regierungen und Privatindustrie einig. In vielen Ländern wird an Gesetzen und Richtlinien gebastelt. Auf internationaler Ebene hat die UN die Initiative ergriffen, wie die Juristin Theresia Degener zu berichten wußte. Bereits 1980 wurde dort eine Sonderkommission eingerichtet, deren Aufgabe es ist, den Boden zu bereiten für den Transfer der neuen Technologien wie Atom-, Kommunikations-, aber auch Gen- und Biotechnik in der Dritten Welt. Dort erhofft man sich Forschungs- und Experimentalfreiräume, die dem öffentlichen Protest entzogen sind. Denn in den westlichen Industrieländern wird über die negativen Aspekte dieser Techniken bereits zu viel diskutiert. Die UN plant deshalb die Einrichtung zweier gen- und biotechnischer Forschungszentren, eines in Triest, das andere in Neu Delhi. Aufgabe dieser Zentren soll sein, die Anwendung, Forschung und industrielle Entwicklung dieser Techniken in der Dritten Welt voranzutreiben.

„Wir Frauen lehnen die Erforschung und Anwendung der Gen und Fortpflanzungstechnologien ab“, lautete das einstimmige Fazit des Kongresses. Denn noch deutlicher als vor drei Jahren ließen sich heute die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen erkennen, die dahinter stecken, hieß es in einer Abschlußresolution. Ziel sei es, Frauen nicht nur in ihren reproduktiven Fähigkeiten, sondern in ihrem gesamten Leben zu beherrschen. Alles Lebendige solle nach den Interessen und Kriterien der industriellen Produktion erschlossen, verwertet und vermarktet, nicht angepaßtes, unprofitables Leben vernichtet werden.

„Wir möchten nach diesem Kongreß klarer denken, grundsätzlicher fragen, entschlossener handeln und widerspenstiger leben“, heißt es zum Schluß in dieser Resolution. Was dieses entschlossene Handeln und widerspenstige Leben allerdings beinhaltet und vor allen Dingen wie es verbreitet wird, darüber wurde auf dem Kongreß nur sehr allgemein diskutiert.

Ulrike Helwerth