Asylbewerber kriminalisiert

Ohne konkreten Tatverdacht stellten Polizisten drei Flüchtlingsheime in Bayern auf den Kopf  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die Diskussion um die weitere Verschärfung der Ausländer und Asylgesetzgebung wird im Freistaat Bayern von Großrazzien in Flüchtlingsunterkünften in und um Nürnberg flankiert. Ohne konkreten Tatverdacht gegen bestimmte Bewohner drangen Polizisten zum Teil gewaltsam in alle Wohnungen der Heime ein. Sie ließen die Flüchtlinge mehrere Stunden lang nicht die Toiletten aufsuchen, durchsuchten mit Handschuhen ausgerüstet Schränke und Koffer, zerstörten Mobiliar und beschlagnahmten Gegenstände, ohne Quittungen dafür auszustellen. Nur in den seltensten Fällen wurde den Flüchtlingen ein Grund für diese polizeiliche Maßnahme angegeben.

Nachdem schon Anfang letzter Woche ein Großaufgebot der Polizei zwei Wohnheime in Nürnberg mit 227 Insassen durchsucht hatte, stellten am Samstag Beamte der Polizeidirektion Schwabach einen Gasthof auf den Kopf, der mit 42 polnischen Asylbewerbern belegt ist. Alfons Metzger, Pressesprecher im bayerischen Innenministerium, streitet jede Zuständigkeit seines Hauses für die Vorgänge ab. „Es handelt sich dabei um eine reine Strafverfolgungsmaßnahme.“ Dagegen geht aus dem Durchsuchungsbefehl für das Wohnheim in der Nürnberger Schloßstraße hervor, daß Ermittlungsrichter Wanker die Durchsuchung nicht mit der Strafprozeßordnung, sondern allein mit dem Polizeiaufgabengesetz begründet hat. Diese vorbeugende polizeiliche Maßnahme wurde mit unbestimmten Verdachtsmomenten wegen Diebstahls, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und illegalem Aufenthalt begründet. Fortsetzung auf Seite 2

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Der Verdacht der Schwarzarbeit wird aus der Beobachtung abgeleitet, daß verschiedene Bewohner das Heim zur gleichen Zeit verlassen und zur gleichen Zeit wieder zurückkehren würden.

Die Polizei bezeichnet die Aktion als erfolgreich und weist jede Kritik zurück. Man habe Diebes- und Hehlergut beschlagnahmt sowie Verstöße gegen das Asylverfahrensgesetz festgestellt. Bei mehreren Sozialhilfeempfängern sollen größere Geldbeträge sichergestellt bzw. der Besitz eines Autos nachgewiesen worden sein. Wegen des Verdachts auf Schwarzarbeit werde nun weiterermittelt.

Der Nürnberger Anwalt Ophoff wirft der Polizei vor, „völlig ins Blaue hinein ermittelt und gegen elementare Menschenrechte verstoßen zu haben“. Er nennt es einen „Skandal“, daß alle Wohnungen aufgrund eines pauschalen Durchsuchungsbefehles für das ganze Haus durchsucht worden sind. „Anscheinend reicht es aus, Bewohner einer Sammelunterkunft zu sein, um automatisch als Tatverdächtiger zu gelten“, schließt daraus Ulrike Voß von der „Initiative Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg“.

Sowohl die Grünen im Nürnberger Stadtrat als auch die Grüne Fraktion im bayerischen Landtag wollen mit Anfragen die Hintergründe der Polizeiaktion erfahren. Für sie ist es kein Zufall, daß wenige Tage vor den spektakulären Razzien sowohl der Bayerische Staatsanzeiger als auch Innenstaatssekretär Spranger von einem Anstieg der Kriminalität bei Ausländern und Flüchtlingen gesprochen hätten. „Die Razzien sollten wohl nachträglich die Munition dafür liefern und Stimmung in der Bevölkerung machen“, vermutet Ludwig Wenk von den Grünen. Betroffene Flüchtlinge bestätigen, daß viele von der Polizei als Diebesgut deklarierten Gegenstände inzwischen wieder zurückgegeben werden mußten, für andere lägen Kaufquittungen vor. Während bei einem Rumänen die Beschlagnahmung von Werkzeug mit dem Verdacht auf schweren Diebstahl begründet worden war, ist jetzt in den weiteren Ermittlungen „nur“ noch von einem Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz die Rede.