Keine Dolmetscher im grünen Euro-Babel

Große Monolog-Show bei der Europa-Konferenz der Grünen / Alles rennet, rettet, redet / Chaotische Zustände: Referenten sagen ab, Übersetzer sind rar / Arbeitsgruppen als Egomanen-Performance / Einziger Erfolg: Die Innenstadt von Florenz wird zur Fußgängerzone  ■  Aus Florenz Werner Raith

Das „Europa„-Treffen der Grünen begann mit Verspätung und Pannen. Der lautstark zur Vor-Pressekonferenz angekündigte Vizedirektor des „Worldwatch Institute“ in Washington, Christopher Flavin, verpaßte seine Züge, was eine stundenlange Verzögerung des eigentlichen Kongreßbeginns „Verdeuropa“ („Grünes Europa“) zur Folge hatte; der mit der Ausarbeitung einer „Charta des Umweltschutzes“ beauftragte „grüne Amtsrichter“ Gianfranco Amendola wurde mit seinem Opus erst am letzten Tag fertig, so daß es Debatten darüber gar nicht mehr geben konnte. Auch sonst fehlte es an diesem und jenem - vor allem an einer Reihe hartnäckig bis zur letzten Sekunde angekündigter Redner, speziell solcher aus dem Osten. Sie hatten, was man Tage zuvor bereits hätte wissen können, schlichtweg kein Visum erhalten, darunter auch der Gorbatschow-Berater Yuri Afanasiew von der Akademie der Wissenschaften. Erfreulich dicht dagegen die Präsenz der Deutschen, anders als vor zwei Jahren in Pescara, als sich nahezu alle Grünen hatten entschuldigen lassen. Zu den schon im Programm Angekündigten wie etwa Otto Schily, Uli Neumann, Joschka Fischer und Adrienne Göhler gesellten sich, vom italienischen Publikum und den Medien begeistert gefeiert, überraschend Petra Kelly und Gerd Bastian. Dafür hatten die Organisatoren diesmal Deutsch nicht als Konferenzsprache vorgesehen, so daß die paar angereisten BRD-Korrespondenten inmitten eines kaum erträglichen Hin- und Hergewiesels in diesem Euro-Babel zu Dolmetschern zweckentfremdet werden mußten.

Mit fast schon teutonischem Hang zur Vollständigkeit hatten die Italiener für die viermal 15 Stunden Redezeit (Samstag nachmittag bis Dienstag mittag) nicht weniger als 50 Referenten aufgeboten und, jeweils nachmittags, 22 Arbeitsgruppen installiert. Da man das alles aber beim besten Willen nicht hintereinander abspulen konnte, ließ man gleichzeitig mehrere Referenten an die Podien, im Souterrain und im zweiten Stock, Fußverbindung fünf Minuten. Da sprach dann unten die Seveso-Gift-Entdeckerin Laura Conti über die Risiken der Pestizide, während sich oben die nicht weniger interessante Wirtschaftswissenschaftlerin Susan George mit der „Kehrseite der sogenannten Grenzen des Wachstums“ auseinandersetzte; Enrico Falqui, der den Skandal der Giftmüll-Schiffe aufgedeckt hatte, hielt unten seinen Vortrag über die „Tödliche Chemie“, während oben Otto Schily über die EG-Wirtschaftspolitik sprach; Marili Terribili vom italo-schweizerischen Verbraucherverband verbreitete sich über „Die Rechte des Konsumenten“, während gleichzeitig Paolo degli Espinosa vom italienischen Institut für alternative Energien über „Ökonomie, Demokratie und Umwelt“ referierte. Kein Wunder, daß bei all dem Auf- und Abgerenne bald ein Großteil der Zuhörer das Handtuch warf und die Zwischenstopps an der Espressobar immer länger wurden. Mitunter liefen regelrechte Großfahndungen nach fehlenden Referenten, wie etwa nach Torsten Martin, der das Öko-Bank -Konzept erläutern sollte.

Doch die Misere dieses zweifellos liebevoll vorbereiteten Kongresses ist nicht den Italienern anzulasten - zutage kam wieder einmal jene grauenerregende Leere an Kommunikation unter den Grünen, die jede konzeptuelle Arbeit unmöglich macht. Geboten wurden ausschließlich Monologe, und selbst in den Arbeitsgruppen ging nur selten einmal ein Teilnehmer auf das ein, was die anderen zuvor gesagt hatten. Die Zuhörer klatschten allen, allen Beifall, selbst wenn sie einander diametral widersprachen. Worldwatcher Flavin und Grünen -Fraktionschef Mattioli, die Alternativenergien als ausreichenden Ersatz für Nuklearanlagen ansehen, bekamen dieselbe Zustimmung wie der rumänisch-amerikanische Ökonom Nicolas Georgescu-Roegen, der die Rede von Kompensationsenergien für „eine gefährliche Illusion“ hält.

Einig waren sich die Vortragenden faktisch nur in einem daß die Lage sehr, sehr ernst sei, von der Atmosphären -Erwärmung bis zum Seen-Tod, von den chemischen Zeitbomben bis zu den Strahlengefahren. Erstaunlich immer wieder, wie behend die Redner durch die Bank genial einfache Lösungsformeln aus der Tasche zogen - von der schnellen Umnutzung des Wirtschaftswachstums hin zu ökologischer Geschäftigkeit (Susan George) bis zum Leben mit insektenfressendem Kohl (Conti), von der Mitbestimmung des Volkes bei der Verwendung umweltgefährlicher Maschinen (degli Espinosa) bis zur „Ächtung der Ausfuhr jener Anlagen, die die einzelnen Länder bei sich nicht mehr aufstellen wollen oder dürfen“ (der Inder Jayanta Bandyopadhay). Erstaunlich dazwischen aber auch immer wieder der offenbare Kompetenzmangel hochgelobter Teilnehmer: Christopher Flavin vom Worldwatch Institute, für den die Erderwärmung das größte aller ökologischen Probleme darstellt, erwies sich als unfähig, seine ständig berufenen „massiven Zunahmen von Todesfällen“ durch diese Entwicklung irgendwie zu quantifizieren oder auch nur die Krankheiten aufzuzählen, die dadurch begünstigt werden. Auf die Frage, ob man dann nicht doch die ozonunschädliche Kernkraft in Betracht ziehen soll, fiel ihm dann aber auch nichts ein außer einem mageren „ich glaube nicht, daß dies das Problem ist“. Ecco.

So waren es denn an diesem Wochenende allenfalls noch die Florentiner Bürger jenseits des Kongreßpalastes, die ein praktisches Zeichen für Umweltbewußtsein setzten: Am Sonntag stimmten sie bei einem Referendum mit einer satten 70 -Prozent-Mehrheit dafür, daß künftig ihre gesamte Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt wird.