„Am Mittwoch ist das Warten vorbei“

■ Israels Parteien mobilisieren alle Kräfte für die Knesset-Wahlen / Beobachter erwarten einen leichten Rechtsrutsch / Neue „Vergeltungsangriffe“ der israelischen Luftwaffe / Todesstrafe in Israel?

Jerusalem/Tel Aviv/Berlin (taz) - Strahlendblauer Himmel über den Wahllokalen Jerusalems - Rauchwolken über den Hügeln der Beiruter Vorstadt Aramun und über der südlibanesischen Hafenstadt Sidon. Doch die Piloten der israelischen Luftwaffe, die gestern morgen einen „Vergeltungsangriff“ gegen fünf Flüchtlingslager der Palästinenser unternahmen und dabei fünf Menschen töteten, hatten bereits am Vortag ihre Stimmen abgegeben. Für welche Partei, das blieb unbekannt; gewiß ist, daß mehr als zwei Drittel der jungen Israelis die Parteien der Rechten wählen. Sowohl Premierminister Schamir als auch Außenminister Peres haben angedeutet, die Einführung der Todesstrafe neu zu überdenken.

Ansonsten erweckten die Straßen der Heiligen Stadt eher den Eindruck eines ganz gewöhnlichen Feiertags als den des Schauplatzes eines einschneidenden politischen Ereignisses nach zwölf Monaten palästinensischen Aufstands. Die Geschäfte blieben geschlossen, nur vor den 5.000 Wahllokalen im ganzen Land herrschte am Vormittag ein reges Kommen und Gehen. Mit gemieteten Taxis, Bussen und 250.000 Helfern versuchten die großen und religiösen Parteien, ihre mutmaßlichen Anhänger unter alten oder kranken Menschen noch vor Wahlschluß um 22 Uhr an die Urnen zu locken. Etwas besonderes hatte sich die Partei der orthodoxen Ashkenazim, „Agudat Israel“, einfallen lassen: Zu einem Sonderpreis konnten Hunderte ihrer nach Brooklyn ausgewanderten Anhänger mit einer religiösen jüdischen Luftfahrtgesellschaft für einen Kurztrip nach Israel jetten, um ihre Stimme abzugeben.

In Ostjerusalem, dessen arabische Bewohner nicht wahlberechtigt sind, waren die Geschäfte zu den üblichen, von der Führung des Aufstands angesetzten Zeiten zwischen neun und zwölf Uhr geöffnet. Aber das gewohnte Drängen und Schieben der Kundschaft blieb aus, seit die Besatzungsmacht den Bewohnern des Westufers wie auch des Gaza-Streifens untersagt hatte, am Dienstag und Mittwoch nach Israel zu fahren. Eine Demonstration, über deren Zustandekommen junge Palästinenser noch am Vorabend spekuliert hatten, fand nicht statt: „Am Mittwoch morgen ist das Warten vorbei. Dann wissen wir, worauf wir uns einstellen müssen“, ist in Ostjerusalem zu hören. Vermutlich - glaubt man den letzten Umfragen - wird es ein leichter Rechtsruck sein.

Kurz nach Beginn der Wahl zu den 120 Sitzen der Knesset wurde im arabischen Viertel Jerusalems Wadi Dschos ein Molotow-Cocktail gegen eines der Propaganda-Autos der Likud -Partei geworfen. Dabei wurden drei Israelis verletzt. Die Polizei nahm 30 Araber fest.

27 Listen bewarben sich gestern um die drei Millionen Stimmen. Wegen der Ein-Prozent-Klausel werden nur etwa zwölf Parteien in der neuen Knesset vertreten sein. Das endgültige Resultat der Parlamentswahlen wird erst in zwei Wochen bekanntgegeben. Vorläufige Ergebnisse werden für heute mittag erwartet.

Die israelische Armee verfügte gestern eine Ausgangssperre für alle neun Flüchtlingslager im besetzten Gaza-Streifen, wo eine Viertelmillion Palästinenser leben. Seit Montag abend sind die besetzten Gebiete zunächst bis Mittwoch abend militärisch abgeriegelt. Die dortige Bevölkerung war gestern fast ausnahmslos dem Aufruf der Intifada-Führung zu einem Generalstreik gefolgt.

A. Wollin / Beate Seel