„Grüner Aufbruch“ im Kreisverband

■ Knappe Mehrheit von 25 Mitgliedern des größten Bremer Kreisverbandes stimmte für eine Urabstimmung aller grünen Mitglieder / Innerparteiliche Strömungen sollen Manifeste verfassen und zur Abstimmung stellen

Die Versammlungen des grünen Kreisverbandes Mitte lassen normalerweise nicht erahnen, daß es sich dabei um die mitgliederstärkste Unterorganisation der Partei in Bremen handelt. Doch am Montag abend waren fast alle der 25 Stühle um den großen Tisch im Versammlungsraum des Lagerhauses besetzt, drei davon sogar mit Bürgerschaftsabgeordneten und zwei mit Fraktionsassistenten. „Ich stelle fest: Eine außerordentlich gut besuchte Mitgliederversammlung“, freute sich Kreisverbands-Vorsitzender Knud Bach.

Wenn trotz bundesweiter Frustration in der grünen Partei die Mitglieder so zahlreich erscheinen, muß es einen besonderen Grund haben. Zu beschließen war die Unterstützung des Kreisverbandes für den Vorschlag der „Aufbruch-Gruppe“ um Antje Vollmer, die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck-Oberdorf und Lukas Beckmann, unter allen grünen Mitgliedern eine „Urabstimmung“ durchzuführen. In einem Antrag, der zur Zeit bundesweit in den grünen Kreisverbänden diskutiert und abgestimmt wird, heißt es: „Zu

diesem Zweck haben die verschiedenen Strömungen und Gruppen der Grünen die Möglichkeit, ihre politischen Ziele, Vorstellungen und Methoden der Umsetzung in einem Manifest zum Ausdruck zu bringen. Alle Manifeste, die von mindestens 500 Mitgliedern gestützt werden, können an der Urabstimmung teilnehmen.“

„Wir sind politisch unattraktiv geworden“, beklagte der wirt

schaftspolitische Mitarbeiter der Fraktion, Jürgen Holtermann, „da ist mir jedes Mittel recht, aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen“. Eine Urabstimmung unter allen Mitgliedern - das könnte nicht nur die innerparteiliche Diskussion neu entfachen, eine Urabstimmung könnte auch Vorbild sein für eine „Demokratisierung der Gesellschaft“, warb Ralf Fücks für den Vorschlag des „Grünen Auf

bruch“: „Der Weg ist das Ziel, mit einem solchen demokratischen Experiment könnten die Grünen nach Frauenliste und Quotierung wieder mal innovativ sein.“

„Für mich ist Basisdemokratie nicht, wenn jeder ein Kreuzchen machen darf, sondern wenn viele wirklich aktiv werden“, kritisierte das grüne Beiratsmitglied Bernd Gosau die Urabstimmungs-Idee. Und der Abgeord

nete Paul Tiefenbach befürchtete, daß mit einem Urabstimmungs-Ergebnis die innerparteiliche Opposition bekämpft werden könnte. Unterstützung fand er beim Pressesprecher Lothar Probst: „Während die Blöcke innerhalb der Grünen jetzt gerade erodieren, könnte der Sieg eines einzigen Manifestes in der Urabstimmung neue Fronten schaffen.“ Bernd Gosau rief dazwischen: „Dann haben wir bei den Grünen ein neues kommunistisches Manifest!“ - „Was ja nicht das Schlechteste wäre“, entgegnete ihm der Ex-KBW -Aktivist Fücks.

Auch Vorstandsmitglied Dieter Mützelburg fand Gefallen an der Urabstimmungs-Idee: „Ich würde in dieser Partei fürchterlich gerne einmal abstimmen.“ Damit Minderheitenpositionen nach der Abstimmung nicht unter den Tisch fallen können, sieht der Urabstimmungs-Vorschlag vor, daß alle Manifeste, die mindestens zehn Prozent der Stimmen erhalten, in einer Broschüre zusammen veröffentlicht werden.

Nach einstündigem Streit und einem Antrag auf „Schluß der Redeliste“ stimmte der Kreisverband über die Urabstimmung ab: elf dafür, neun dagegen und zwei Enthaltungen. „Knapp, aber Oho“, kommentierte Antragsteller Ralf Fücks und spendierte der willigen Parteibasis nachträglich einen Kasten Bier. Nach der Satzung müssen 120 Kreisverbände die Urabstimmung befürworten, gut 20 haben es jetzt getan.

Dirk Asendorpf