Kinderkino

■ Zu den 22. Internationalen Filmtagen in Hof

Karierte Jacke, gestreifte Hose, gemustertes Hemd, bestimmt trägt er auch noch Ringelstrümpfe: Dany Levy ist ein fröhlicher junger Mensch. Früher hat er Gripstheaterstücke geschrieben, heute macht er Kino. Robbykallepaul spielt mit und in seiner Wohngemeinschaft, dort sieht es lustig aus, bunt und chaotisch; die Sesamstrasse kommt vor, der TIP wird erwähnt und auch der Sohn meiner Kollegin R. wurde gesichtet - ein Szenefilm zum Mitschunkeln.

Drei WG-Männer bemühen sich, wenn ich richtig gezählt habe, um vier Frauen; wer da nun wen wirklich liebt, bleibt unklar, ist auch egal: Hauptsache, das Karussel hört nicht auf sich zu drehen. Zwar handeln ausschliesslich die Frauen, indem sie ausziehen, anrufen, wiederkommen und verschwinden, während die Männer wie lauter kleine Möchtegern-Woody-Allens eine schlechte Figur dazu machen (mit dem Unterschied, dass sie auch noch stolz darauf sind). Dennoch bleiben die Mädchen blosse Staffage. Daß es aber nichts Langweiligeres gibt als 95 Minuten Männer-NabelSchau, scheint auch Levy bemerkt zu haben: Deshalb übertreibt er so.

Die Lieblingsfarbe im neuen neuen deutschen Film ist pink. So viele grell geschminkte Lippen, schrille Klamotten, verrückte Wohnungen, schräge Kameraeinstellungen und Neonlichtspiele auf nassem Asphalt habe ich in nur drei Tagen noch nicht zu Gesicht bekommen - Robbykallepaul ist nur das Paradebeispiel für den Zwang zur Übertreibung, für den krampfhaften Versuch zu überspielen, daß man recht eigentlich nichts zu erzählen hat. So läuft der Protagonist von Vivian Naefes Pizza Express - ein berühmter und dennoch unfähiger Krimiautor - mit seinem scheuen Blick zwar wie der personifizierte Versager durchs Bild, aber Naefe dichtet ihm sicherheitshalber auch noch den obligatorischen Schreibitsch samt kalten Kaffeetassen, leeren Whiskyflaschen, Pillensortiment und überquellendem Aschenbecher an. Sie hätte besser daran getan, sein Gesicht zu studieren.

Ähnlich Helma Sanders-Brahms in ihrem 50er-Jahre Ost-West -Agentenfilm Manöver. Der Perfektion seiner Ausstattung

-vom Braun-Plattenspieler übers Punktekleid bis zu den Original-Wochenschauen mit Adenauer wird uns alles geboten sieht man die Angst an, nur ja nichts falsch zu machen. Dabei übersieht sie das Wesentliche: die Schauspieler. Alfred Edel etwa taugt nicht zum Ministerialdirigenten des Verteidigungsministeriums; gut ist er nur als Alfred Edel. Und die Haupdarstellerin Adriana Altaras kann mehr als bloß eine halbwegs pfiffige Sekretärin spielen; man sieht es ihr an. Wie es der Regisseurin gelungen ist, Altaras Energie zu bremsen, ist mir ein Rätsel. In Hof betont Sanders-Brahms vorab, auch bei ihrem Film handele es sich um eine Komödie; dabei ist das einzig Komische in Manöver der O-Ton Wochenschau.

Die Deutschen machen jetzt also Komödien. Manfred Stelzer hat nach Die Chinesen kommen eine weitere Bayern-Posse abgeliefert: Himmelsheim/F13; und Peter (Meyer) Timm kündigt bei der Vorführung der ersten Ausschnitte seiner Bankräuber-Klamotte 50/50 an, wenn wir jetzt nicht lachten, werde er den Rest des Films einstampfen. Wir haben gelacht.

Nicht, dass ich was gegen Komödien hätte. Die wenigen, die es noch ernst meinen, habe ich 90 Minuten lang gar nicht erst ertragen. Weder Wolfram Paulus‘ Nachsaison, noch Bettina Woernles Der Einbruch, noch Monika Treuts sich verklemmt-theoretisch mit Liebe und Sex beschäftigender Jungfrauenmaschine. Die größte Enttäuschung bescherten mir die Westallgäuer Klaus Gietinger und Leo Hiemer mit Schön war die Zeit. Leider haben sie nach Daheim sterben die Leut keine weitere wunderschöne kleine Provinzkomödie gedreht, sondern einen richtigen Film: mit Vergangenheitsbewältigung, der Entnazifizierung im Filmgeschäft, einer Isnyer Dorfchronik, den Altnazis in Kinobranche und Kneipen-Hinterzimmer, Wiederbewaffnung und KPD-Verbot, Kinosterben, Kinderkriegen, dem ersten Fernseher und ich weiss nicht was noch.

Vor der Premiere zitieren die Regisseure Jean Gabin. Drei Dinge gehörten zu einem guten Film: erstens eine gute story, zweitens eine gute story, drittens eine gute story. In Schön war die Zeit erzählten sie zwei Geschichten und hätten also Zweidrittel von Gabins Forderung erfüllt. Dabei erzählen sie tausend Geschichten und keine einzige gute.

Ein paar von den ausländischen Filmen zeigen, wie Komödien funktionieren können. Erstens, indem sie von gar nicht Komischem handeln - von Rassismus etwa oder der Tatsache, daß es Arme und Reiche gibt -, zweitens, indem sie Partei ergreifen. Partei für die mit den Macken, für die Kaputten, die Abgehalfterten. Für die Komischen eben. Pedro Almodovars Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs sind zwar tatsächlich allzu hysterisch (und auch Almodovar übertreibt das schrille Styling), aber sein Interesse gehört dabei dennoch ausschließlich den Frauen. Ihm sind sie schön, geheinmnisvoll, aufregend genug, um nicht nur die Rollen zu vertauschen, sondern auch das Schema: Die Frauen handeln nicht nur, sie sind die Hauptfiguren; Männer bleiben blosses Personal.

Die Franzosen - E. Chatiliez‘ Das Leben ist ein langer ruhiger Fluß und Mehdi Charefs Camomille - sind einmal mehr die Klassenbewußten. Bei ihnen gibt es neurotische Reiche mit Villen und Silberbesteck und chaotische Arme mit viel zu kleinen Wohnungen und viel zu vielen Kindern. Aber Chatiliez bedient nicht das Klischee, sondern benutzt es umgekehrt, um mit Hilfe zweier bei der Geburt vertauschter Kinder die Milieus durcheinanderzuwirbeln und die Rollen neu zu verteilen. Die Kinder entmachten die Grossen, indem sie sie mit deren eigenen Mitteln austricksen - ein freches, anarchisches Stück Kino.

Auch Charefs Sympathie gehört einem stotternden Bäckerjungen, der sich in ein reiches drogensüchtiges Mädchen verliebt. Einem, der malocht und sonst nur für Autos schwärmt, der langsam guckt und langsam denkt: ein dumpfes Gemüt. Charef nimmt sich die Zeit für ihn. Daß er dabei aber das Mädchen Camille denunziert, indem er ihrem Selbstmordwunsch einzig mit der Geburt eines Sohnes abhilft, macht Camomille trotzdem zum Ärgernis.

Die schönste Milieustudie kommt aus England. Auch Mike Leighs High Hopes schlägt sich auf Seiten der underdogs im Thatcher-England, für die Oma im Reihenhaus, die tagein tagaus im Lehnstuhl vor sich hinstarrt und abends das Gebiß ins Glas legt, für ihren proletarischen Sohn und seine häßliche Freundin, die gerne ein Kind hätte (aber er findet das politisch nicht richtig), und für die hysterische Tochter samt widerlichem Ehemann. Am Ende hat man sie alle ins Herz geschlossen.

Ähnlich liebevoll, ein bißchen zu liebevoll, Terence Davies‘ Distant Voices, Still Lives. Kein Spielfilm, sondern episodische Kindheitserinnerungen an das Liverpool der 40er und 50er Jahre. Ein vergilbtes Familienalbum, Standbilder vom Ort der Kindheit: dem Wohnzimmer am Sonntagnachmittag, dem Treppenhaus, wo der Vater die Mutter verprügelt, der Haustür, vor der die Hochzeitspaare stehen. Ständig werden die alten Radioschlager gesungen, Lieder aus Angst vor den Bomben, als Trost nach den väterlichen Schlägen, zur Ablenkung und um des lieben Friedens willen. Ihre nostalgische Harmonie lügt genauso wie die der Familienfeiern; dennoch erzählen sie von dem, was sie übertönen: von gebrochenen Herzen, Rachegelüsten gegenüber den Männern und der Sehnsucht nach dem richtigen Leben mitten im Muff. Warum aber Distant Voices, der eineinhalb Stunden lang ein Fotoalbum zum Tönen bringt, ohne daß er uns nach einer halben Stunde noch etwas Neues erzählt, als bester britischer Film für den Europäischen Filmpreis nominiert ist, habe ich nicht verstanden.

Fazit: Offenbar machen die, denen es am besten geht, zwar die meisten Komödien, aber die schlechtesten Filme. Kinderkino. Nichts gegen Regression, aber aufregend ist Kino eben nur dann, wenn es Ernst macht mit seinen kindlichen Gestalten. Nicht wenn es nett findet, sondern wenn es beobachtet, genau nimmt, fasziniert. Und sei es in der Komödie.

Keine Ausnahme? Doch, eine: Pia Frankenbergs Brennende Betten. Auch eine Komödie, aber eine klassische story: eine altmodisch erzählte Liebesgeschichte. Eine Frau und ein Mann. Pia Frankenberg und Ian Dury. Der wunderbare Dury mit seinem viel zu grossen Kopf auf dem viel zu kleinen Körper, seinem Humpeln und dem Clownsgesicht. Keine scheppernden Gags, sondern trockener, fast britischer Humor. Schöne Songs, die beiden singen selbst. Mehr darüber demnächst zum Filmstart.

Christiane Peitz