Angsträume in der Innenstadt

Wiesbadener Frauen berichten über ihre Erfahrungen mit männlicher Gewalt / Studie der Frauenbeauftragten vorgelegt / Anmache auch in Omnibussen und Bahnen  ■  Aus Wiesbaden Heide Platen

Fast 200 Seiten dick und zartlila eingebunden ist die Studie, die die Frauenbeauftragte der Stadt Wiesbaden, Margot Brunner, im September der Öffentlichkeit vorstellte. Die Autorin Gudrun Müller hatte eigentlich den Auftrag, den Bedarf eines Frauennachttaxis in Wiesbaden zu untermauern. Sie leistete wesentlich mehr.

Die Studie, die in Zusammenarbeit mit zahlreichen Frauen und Gruppen entstanden ist, besticht durch vieles, was eigentlikch jede weiß. Zum Beispiel: „Der Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 53,6 Prozent. Die Mehrheit der Frauen lebt in den Außenbezirken der Stadt Wiesbaden...“. Eben! Und in der Landeshauptstadt Hessens, dem wohlhabenden Ort der Angestellten und BeamtInnen, ist die Anzahl der älteren Frauen besonders hoch.

Anhand der Kriminalstatistik untersuchte die Autorin die Orte, an denen Frauen Gewalt widerfährt. Sie errechnete, daß die gefährlichste Gegend die Wiesbadener Innenstadt zur Abend- und Nachtzeit ist. Hier, in diesen „öffentlichen Räumen“, geschahen 18 der 1986 angezeigten 45 Vergewaltigungen. Hier ist auch die Domäne der „sexuellen Nötigung“, die juristisch noch immer nicht einer Vergewaltigung gleichkommt. Wenn auch vergewaltigte Frauen in den letzten Jahren auf den Polizeirevieren im ganzen rücksichtsvoller behandelt wurden als vor Jahren, so können sie doch im „Vorfeld“ dieses Deliktes noch nicht auf Hilfe hoffen. Auch sexuelle Nötigung und männlicher Exhibitionismus, Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, greifen die Würde der Frauen an und schränken ihre Bewegungsfreiheit ein.

Im Anhang macht die Studie durch Fotos sichtbar, daß die „öffentlichen Räume“ für Frauen „Angsträume“ sind. Spielplätze und Parks, leere Einkaufspassagen, verwinkelte Hauseingänge, Bushaltestellen fernab der Häuser, Parkhäuser und -plätze, dunkle Treppenflure, unbeleuchtete Gehwege, Unterführungen usw. usf. Fast 400 Frauen füllten einen Fragebogen aus, fast alle fühlen sich unsicher in der Stadt, aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, einige von ihnen (1,8 Prozent) gehen nie alleine aus dem Haus, 24 Prozent „nur selten“, über die Hälfte traut sich nicht alleine in Parks, 68,8 Prozent meiden ihnen unheimliche Straßen und Plätze, abends wächst die Angst stark an.

Dabei geht es in der Studie auch darum, sichtbar zu machen, wie vielfältig die Gewalt gegen Frauen im Alltag ist. Pöbeleien in Omnibussen, das Anrempeln in der Fußgängerzone, Zoten nach dem Kinobesuch, den Weg versperren, Verfolgung und Anfassen machen Angst. Frauen flüchten auf die andere Straßenseite, gehen schnell und gehetzt, suchen bei fremden Passanten Zuflucht. Mit Worten haben sich 28 Prozent gewehrt, körperlich nur 14,3. Die meisten Frauen wollen bei der Stadtplanung mitreden, Selbstverteidigung erlernen, sich gegenseitig zu Hilfe eilen. Knapp 80 Prozent wollen: „Männer sollen ihr Verhalten ändern.“

Studie des Feministischen Interdisziplinären Forschungsinstituts „Die Situation der Bedrohung von Frauen“, Pfingstweidstraße 4, 6000 Frankfurt 1