„Im höchsten Alarmzustand“

Die Umweltverbände der Republik am Krankenbett des entnadelten Waldes / Nur das günstige Wetter habe den „großflächigen Zusammenbruch“ verhindert / Pressekonferenz in Bonn  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die sieben Umweltschutzverbände der Republik zogen gestern in Bonn ihre gemeinsame Pressekonferenz zum Waldsterben im Eiltempo durch: Eine halbe Stunde später stand schon die SPD zum selben Thema auf dem Programm. Die Sozialdemokraten hatten sich noch kurzfristig reingemogelt in das Statement -Marathon; weiter ging's mit Kiechles offiziellem Part und vornehm zurückhaltend als Schlußlicht die Waldschadensbesitzer. Die Kameras werden so schnell auf- und abgebaut, daß der Wald mit dem Sterben kaum mehr mitkommt.

Das Ritual nimmt seinen Lauf: Einmal im Jahr richten sich die Augen der Medien erwartungsvoll auf das Siechtum der Bäume - und wenden sich sogleich gelangweilt wieder ab.

Auch in diesem Jahr haben die Sterbeziffern keine neue skandalöse Höhe erklommen, die dem abgestumpften Publikum neuen Nervenkitzel garantieren könnte. Im Stil einer Kommandoerklärung verkündete ein Vertreter von „Robin Wood“: „Heute haben wir das Hermanns-Denkmal im Teutoburger Wald besetzt.“ An der Wand hängt ein Transparent: „Die wahren Borkenkäfer sind unsere Politiker.“ Hilflos-traurige Beklommenheit stellt sich ein.

52 Prozent der Wälder sind, amtlich attestiert, geschädigt. Die Umweltverbände gehen von real größeren Schäden aus, weil die Erhebungsmethoden beschönigend seien und als „kosmetische Maßnahme am Krankenbett“ kranke Bäume stillschweigend beseitigt würden.

Der großflächige Zusammenbruch, in Alpen und Mittelgebirgen schon erkennbar, sei nur deshalb ausgeblieben, erklärt Helmut Klein vom BUND für Natur- und Umweltschutz, weil in den vergangenen fünf Vegetaonsperioden die Temperatur und die Niederschlagsverhältnisse für den Wald sehr günstig waren. Die trockneren Sommer in Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen entblößten schon jetzt die höheren Schäden, etwa in Niedersachsen ein Plus von 9,8 Prozent. Der gesamte Ausstoß von Stickoxiden ist dieses Jahr auf 3,16 Millionen Tonnen geklettert.

Mit der Verwirklichung des EG-Binnenmarktes wird sich der Schadstoff-Ausstoß der LKWs noch weiter erhöhen. Aber nur eine rasche Verminderung der Abgase auf „das Niveau der fünfziger Jahre“ könne Erfolg haben, sagen die Verbände. Darum bleiben die Hauptforderungen: Tempolimit, verbindliche Einführung des Drei-Wege-Katalysators, Verlagerung des Lastverkehrs auf die Schiene.

Gegen die „Verharmlosungstaktik“ der Bundesregierung und die Selbstberuhigung des Publikums: Der Wald stirbt „im höchsten denkbaren Alarmzustand seit fünf Jahren“. Nur Petrus verhinderte, daß die Alarmsirenen lauter schrillten.

Fazit der Umweltverbände: „42 Prozent amtlich zugegebene geschädigte Waldfläche bei gleichzeitiger flächiger Vernichtung von mindestens 5.000 Hektar in den Hauptschadensgebieten bedeuten, daß das Ökosystem Wald in weiten Gebieten über jedes Puffervermögen hinaus belastet ist.“