: Indikation: Armut und Mangelernährung
Alternative PharmavertreterInnen verteilen „Medico Mental“ / Hochwirksam und garantiert keine Nebenwirkungen / Agrobusiness und Verschuldung: „Die neuen Geiseln der Tropen“ / Eine Aktion von Medico International gegen Hunger und Elend in der Dritten Welt ■ Aus Bremen Dirk Asendorpf
„Guten Tag, wir möchten Ihnen 'Medico Mental‘ vorstellen, das einzigartige Antirepressivum, hochwirksam, überzeugend und garantiert ohne schädliche Nebenwirkungen.“ Etwas mißtrauisch mustert die Sprechstundenhilfe über ihren Brillenrand die beiden jungen Männer, die mit ihrem Sprüchlein und Köfferchen in der Hand zwar wie Pharma -Vertreter auftreten, aber in Jeans und Pulli so gar nicht danach aussehen. Und auch die schwarz-rote Probepackung, die sie ihr auf den Thresen gelegt haben, sieht den üblichen Pillen-Schachteln zwar zum Verwechseln ähnlich, aber wenn man genauer hinsieht, dann steht da zum Beispiel: „Indikation: Armut, Mangelernährung, Ungerechtigkeit, fehlende Hygiene, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Medikamentenmißbrauch.“ Eine kleine Schachtel gegen so viele Übel auf einmal? Schließlich hat die Sprechstundenhilfe einen Entschluß gefaßt: „Ich werde Frau Doktor Bescheid sagen, setzen Sie sich bitte einen Moment ins Wartezimmer.“
„Was sind fünf Milliarden Mark für Pharma-Werbung gegen das persönliche Engagement von Tausenden von kritisch denkenden und handelnden Menschen“, hatte die Frankfurter Hilfsorganisation „Medico International“ in ganzseitigen Zeitungsanzeigen geschrieben und zum Mitmachen aufgefordert: Informationsblätter, Plakate und das „einzigartige Medico Mental“ sollen ÄrztInnen, PraxismitarbeiterInnen und vor allem PatientInnen über die Ursachen des Hungers und der Krankheit in den unterentwickelt gehaltenen Ländern der sogenannten Dritten Welt informieren.
Die kleine Schachtel enthält auf „elf hochdosierten Informationskärtchen“ Wissenswertes über die „neuen Geißeln der Tropen“, die nicht mehr Gelbfieber und Malaria heißen, sondern Agrobusiness und Verschuldung, über Vorzüge traditioneller Medizin und auch über die Basis Gesundheitsprojekte der gerade 20 Jahre alten Organisation Medico International. 50.000 Schachteln Medico Mental wurden bereits verschickt, bei 70.000 niedergelassenen Ärzten in der Bundesrepublik rechnet die Hilfsorganisation bald mit flächendeckender Verbreitung. Finanziert wurde die aufwendige Kampagne nicht aus Spenden, sondern mit EG -Geldern „zur Veränderung von Konsumgewohnheiten“.
Die könnten nun schon in vielen Wartezimmern beginnen. Wer dort nach Medico-Mental greift, kann zum Beispiel folgendes lesen: „Eine Bäuerin mit einem sichtbar mangelernährten Kind an der Hand betrat die Apotheke einer bolivianischen Kleinstadt. Sie bat um ein 'multivitamina de marca‘, ein Multivitaminpräparat aus US- oder europäischer Produktion. Auf die Frage, wie sie sich ein so teures Medikament leisten könnte und wofür sie es wollte, antwortete sie: 'Damit mein Kind Appetit bekommt.‘ Das Präparat konnte sie sich leisten, weil sie vorher auf dem Markt zwei Liter Milch, fünf Eier und zwei Ziegenkäse verkauft hatte.“
Medico-Mental nennt auch Namen, zum Beispiel der Hersteller solch nutzloser Vitaminpräparate. Die bundesdeutschen Konzerne Bayer, Hoechst und Schering sind darunter und bestätigen damit das Motto der gesamten Aktion: „Die Gesundheit der einen - die Krankheit der anderen.“
Frau Doktor zeigt sich den beiden „alternativen Pharmavertretern“ gegenüber schließlich informiert - sie hat selber jahrelang in Indien gearbeitet. Die originelle Aktion hat sie neugierig gemacht. In anderen Praxen wurden die „alternativen Pharmavertreter“ dagegen weitaus weniger freundlich behandelt. Ein praktischer Arzt beispielsweise setzte sie kurzerhand wieder vor die Tür. Sein Vorwurf: „Das ist Politik und keine Medizin.“
Doch Frau Doktor will zwei informative Schachteln und ein paar Informationszettel. Die Sprechstundenhilfe zahlt dafür sechs Mark, von den „alternativen Pharmavertretern“ auf einem Rezeptblock sauber quittiert: „für Medico Mental“.
„Medico Mental“ kann bei Medico International, Obermainanlage 7, 6000 Frankfurt 1, bestellt werden (pro fünfer-Pack kostet es 10 Mark).
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