HBV-Kongreß zwischen Handball und Slapstick

DGB-Chef Breit erhält Beifall für eine nicht gehaltene Rede / Der neue HBV-Chef Schwegler verdiente sich 1987 mit dem Streik im Bankgewerbe erste Meriten / Hintergründige Regie bei Vorstandswahlen / Erst im zweiten Wahlgang wurde Hans Georg Stritter gewählt  ■  Aus Essen Martin Kempe

Absurdes Theater auf dem Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) am Dienstag nachmittag in Essen: Die Rundfunknachrichten meldeten um 17 Uhr eine Rede des DGB-Vorsitzenden Ernst Breit, die erst am Mittwoch morgen von Breits Stellvertreter Gerd Muhr gehalten wurde. Vorstandsmitglieder der HBV rafften am Ende des Sitzungstages verwirrt ihre Papiere zusammen, um sie vor den herbeieilenden Arbeitern der Gruga-Halle zu retten. Ein Kongreß-saal, der sich in einer halben Stunde zur Handballarena für das Bundesliga-Spiel zwischen TUSEM Essen und THW Kiel verwandelte. Der Gewerkschaftstag der HBV hatte am Dienstag nachmittag die Choreographie einer Laienspielgruppe, die wider Willen eine Mischung aus Dramatik und Slapstick auf die Bühne zaubert.

Eigentlich hätte Ernst Breit am Dienstag nachmittag seine Gastrede halten sollen, die im übrigen keineswegs, wie eine um Originalität bemühte Nachrichtenagentur aufgrund des vorab verteilten Manuskripts meldete, die bisherige DGB -Kritik an der Bundesregierung verschärfte. Aber die übermäßige Diskussionsfreude der DelegiertInnen hatte den Zeitplan durcheinandergebracht. Und als dann noch ein Kandidat bei der Vorstandswahl im ersten Wahlgang durchfiel und ein zweiter Wahlgang notwendig wurde, mußte der DGB -Vorsitzende auf den Vortrag verzichten. Denn um 19.30 sollte, das stand fest, das Handballspiel angepfiffen werden.

Als drinnen der Kongreß noch mit seiner Verwirrung rang, standen die Arbeiter der Gruga-Halle schon bereit, den Gewerkschaftern die Stühle unterm Hintern wegzuräumen. Und draußen vor der Tür warteten 7.000 Handball-Fans auf Einlaß.

Er habe „noch nie für eine nichtgehaltene Rede soviel Beifall bekommen“, verabschiedete sich Breit von den Delegierten. Und Lorenz Schwegler, der neugewählte Vorsitzende der HBV, kommentierte süffisant mit Blick auf die hektisch Tische und Stühle abräumenden Arbeiter: „Demontage eines Gewerkschaftstages.“ Aber das hätten die DelegiertInnen beinahe selbst fertiggebracht. Die Wahl Schweglers, das war klar, war unumstritten.

Der 44jährige Jurist galt schon lange als profilierteste Gestalt neben dem jetzt ausscheidenden bisherigen Vorsitzenden Günter Volkmar im Vorstand der Dienstleistungsgewerkschaft. Und als im letzten Jahr der Versuch Volkmars gescheitert war, die SPD-Politikerin Däubler-Gmelin zu seiner Nachfolgerin zu machen, lief alles auf Schwegler zu. Der hatte im Herbst 87 immerhin das Kunststück fertiggebracht, einen Streik im Bankgewerbe auf die Beine zu stellen.

Lorenz Schwegler, ein Juso der frühen siebziger Jahre, gehört zur „Enkel-Generation“ unter den Spitzengewerkschaftern, gilt als intellektuell beweglich und repräsentiert den modernen Gewerkschafter, der vom Typ her genausogut in der Vorstandsetage einer Bank seinen Platz haben könnte und für die umworbenen qualifizierten Angestellten des Dienstleistungsgewerbes Kompetenz ausstrahlt.

Die Überraschung des Wahlgangs war das Scheitern des 38jährigen Neulings Hans Georg Stritter im ersten Wahlgang. Der glatte Banker, der in den letzten Jahren in der HBV -Zentrale in Düsseldorf gearbeitet hat, schaffte erst im zweiten Wahlgang mit äußerst knapper Mehrheit den Sprung in den Vorstand.

Offensichtlich hatte eine hintergründige Regie zu diesem Ergebnis beigetragen. Denn nach Aussagen gut informierter HBVler hatte sich hinter den Kulissen schon eine Ersatzkandidatin aus dem dogmatischen Lager bereitgehalten, um ein offensichtliches Versäumnis der HBV-Spitze für sich auszunutzen: Nach dem gescheiterten Versuch, eine Frau zur Vorsitzenden der Frauengewerkschaft HBV zu küren, hatten es die HBV-Oberen versäumt, wenigstens eine zweite Gewerkschafterin für den sechsköpfigen geschäftsführenden Vorstand zu präsentieren.

Das „Frauenproblem“, hieß es am Rande des Gewerkschaftstages aus Männermund, „haben wir noch nicht im Griff“ - wie so manches mehr. Als der Kongreßsaal in der Essener Gruga-Halle in Windeseile zur Handballarena unfunktioniert wurde und Vorstandsmitglied Christian Götz mit Gratulationsblumenstrauß noch durch die hastenden Arbeiter irrte, hatten vorn am Präsidiumstisch schon einige Essener Handballfans Platz genommen. Sie betrachteten die verwirrende Szenerie weitaus gelassener als der neugewählte HBV-Vorstand wenige Minuten zuvor.