Apathie

■ Kiechles Waldschadensinventur

Waldschadensbericht. Katastrophe offiziell. Vier Pressekonferenzen in Bonn. Robin Wood besetzt das Hermann –Denkmal, also jenen Ort, an dem im germanischen Walddickicht der welsche Eindringling Varus unterging. Alle reden wieder, routinemäßig, vom toten Wald – und keiner hört hin. Warum? Sind die apokalyptischen Szenarien des Waldsterbens zu dramatisch gewesen? Hat die Kakophonie der Kassandrarufe die Empörung abgestumpft? Warum noch den deutschen Wald retten, wenn wir schon unterm Ozonloch leben; warum für die Eiche kämpfen, wenn doch das Rentensystem zusammenbrechen wird?

Zureichende Erklärungen? Kaum. Plausibler wäre es, der Bevölkerung zu unterstellen, daß sie in den Jahren etwas gelernt hat. Die heutige Apathie muß ja nicht aus mangelndem Umweltbewußtsein resultieren. Im Gegenteil: geschärftes Bewußtsein registriert den lähmenden Mangel politischer Antworten. Es geht ja längst nicht mehr um Anklage und Sofortismus, um die spezielle Katastrophe und ihre probaten Rezepte. Es geht um die Vision einer anderen Gesellschaft. Die Leute haben begriffen, das alles miteinander zusammenhängt, das Waldsterben, der Pseudokrupp, der Lungenkrebs, die Hormonkälber, die Nitratverseuchung.

Aber das Gesamt aller aktuellen Maßnahmenkataloge zielt auf das herrschende Verhältnis von Politik und Industrie; verlangt große Koalitionen gegen das herrschende Parteiensystem. Der Abgrund zwischen Wissen und politischen Optionen lähmt. Transmissionen fehlen. „Bewegungen“ bewegen nichts mehr. Was bleibt, ist Resignation oder: das Hier und Jetzt der letzten Tage von Pompeji genießen – mit der kleinen Hoffnung, daß zum zehnjährigen Jubiläum des Waldschadensberichtes neuer Druck da sein wird. Hierzulande organisiert sich ja die Politik immer mehr um die Jahrestage.

Klaus Hartung