Blockade total

■ Die Wahlergebnisse in Israel lassen einen Frieden im Nahen Osten in weite Ferne rücken

Nach den gestrigen Wahlergebnissen stehen den Israelis ausgedehnte Koalitionsverhandlungen bevor. Es wird Wochen dauern, bis sich eine neue Regierung konstituiert hat, doch der Trend ist klar. Das rechte und konservative Lager, für das Verhandlungen mit der Möglichkeit eines Rückzugs aus den besetzten Gebieten nicht in Frage kommt, hat die größeren Chancen, die entscheidenden Stimmen der religiösen Fundamentalisten, den eigentlichen Gewinnern der Wahl, auf seine Seite zu ziehen.

Lange Gesichter in Ost-Jerusalem am Mittwoch morgen. Die Straßen sind ausgestorben. Die palästinensische Bevölkerung hat anläßlich des Jahrestages der Balfour-Erklärung die Rolläden der Geschäfte heruntergelassen und streikt. Dazu kommt, daß seit dem Brandanschlag auf ein Auto, bei dem am Vortag drei Israelis verletzt wurden, ein Polizeiauto nach dem anderen durch die Straßen Ost-Jerusalems patroulliert. Ein palästinensischer Geschäftsmann, der sich trotzdem auf die Straße wagt, macht aus seiner Enttäuschung über das Wahlergebnis keinen Hehl. „Nichts wird sich ändern, gar nichts. Shamir ist schon seit zwei Jahren dran, und jetzt bildet er die neue Regierung. Alles wird weitergehen wie bisher, unsere Leute werden ins Gefängnis gesteckt, getötet und verletzt werden. Wir haben die Talsohle noch nicht erreicht, aber einen Schritt zurück gibt es für uns nicht. Die Intifada wird weitergehen.“ So klar wie für diesen Palästinenser ist die weitere Entwicklung in Israel allerdings noch nicht.

In der Wahlnacht herrschte angesichts des Kopf-an-Kopf -Rennens in den Hauptquartieren der ehemaligen Koalitionspartner, des Likud-Blocks von Jitzhak Shamir und der Arbeiterpartei von Shimon Peres, kein Grund zum Jubeln. Freilich waren die Gesichter in der Zentrale der Arbeiterpartei deutlich länger, war doch das Klassenziel, zumindest die Bildung einer Rechtsregierung zu blockieren, wenn nicht selbst eine Mehrheit zu stellen, verfehlt. In der Likud-Zentrale betrachtete man die erste Hochrechnung bei Schließung der Wahllokale um 22 Uhr mit gemischten Gefühlen. Zu ungewiß schien zu diesem Zeitpunkt noch die knappe Mehrheit des rechts-religiösen Lagers mit 62 der 120 Knesset -Sitze. Doch mit der Bestätigung des Trends machte sich Erleichterung breit, und noch in der Nacht kündigte der bisherige Ministerpräsident Shamir an, er werde sich um die Bildung einer Likud-Regierung bemühen.

Zu wahren Freudentänzen im wörtlichen Sinne kam es dagegen in der Zentrale von Shas, einer Partei orthodoxer Sephardim, die die Anzahl ihrer Sitze von drei auf sechs verdoppeln konnte. Die linke Bürgerrechtspartei Ratz von Shulamit Aloni, die das gleiche Ergebnis erzielte, hatte allerdings einen bitteren Wermutstropfen zu verdauen, da die Chancen auf eine Koalitionsregierung mit der Arbeiterpartei immer geringer wurden. Aloni sprach von einem offensichtlichen Sieg des „extremen Nationalismus und religiösen Fanatismus“.

Unterdessen machten sich die Führer beider große Parteien daran, Sondierungsgespräche mit eventuellen Koalitionspartnern zu führen, denn Shimon Peres hat bislang nicht das Handtuch geworfen. Aber auch für Likud wird es nicht einfach sein, eine Koalition zusammenzustellen, denn die kleinen Parteien haben ihren Preis, was politisch -religiöse Inhalte wie auch Personalfragen beinhaltet. Da ist beispielsweise Raffael Eitam, dessen Tzomet-Partei mit zwei Sitzen erstmals in der Knesset eingezogen ist. Der ehemalige Stabschef aus der Zeit des Libanon-Krieges befürwortet nicht nur eine Annektion der besetzten Gebiete, was Shamir im Wahlkampf weit von sich gewiesen hatte, sondern zielt mit seiner Kampagne auch ganz darauf ab, künftiger Verteidigungsminister zu werden, ein Posten, auf den auch Ariel Sharon besonders scharf ist. Der zweite Neuling unter den extremen Nationalisten ist die Moledet -Partei, die sich den sogenannten Transfer von Palästinensern in arabische Länder zum einzigen Ziel auserkoren hat. Aber Shamir ist auf die Unterstützung beider angewiesen, wenn er keine Koalition zusammenzimmern will.

Die Schlüsselstellung für jedwede Regierungsbildung kommt jedoch den Religiösen zu. Anliegen dieser Parteien sind weder Wirtschaftspolitik noch eine nahöstliche Friedensregelung, sondern die Einhaltung der religiösen Gesetze im Alltag. Auch wenn diese Parteien traditionell der Rechten zuneigen, werden sie sehen, wo am meisten zu holen ist und die beiden großen Parteien gegeneinander ausspielen. Eine religiöse Friedenspartei, die zum ersten Mal antrat, konnte keinen einzigen Sitz erringen.

Überrascht hat das schlechte Abschneiden der extrem -nationalistischen Tehiya von Geula Cohen, die ebenfalls für eine Annexion der besetzten Gebiete eintritt. Ähnlich wie die links-sozialdemokratische Mapam oder die Ratz im Lager der Arbeiterpartei war Tehiya stets das Sammelbecken für diejenigen, denen Likud nicht weit genug ging. Doch auf diesem Feld gab es diesmal reichlich Auswahl.

Der Erfolg der Bürgerrechtspartei im Vergleich zur Progressiven Friedensliste und der von den Kommunisten geführten Demokratischen Front läßt sich dadurch erklären, daß sie nicht als „arabische“ Partei gilt und damit für viele akzeptabler ist. Außerdem sind ihre politsichen Forderungen weniger weitgehend als die der beiden anderen Linksparteien. Die Ratz tritt für einen stufenweisen Rückzug israelischer Truppen aus den besetzten Gebieten und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ein, in welcher Form auch immer, während die Friedensliste und die Front sich klar für eine Zwei-Staaten-Lösung und Verhandlungen mit der PLO aussprechen.

Kein „arabischer Block“

Hoffnungen auf einen starken „arabischen Block“ in der neuen Knesset haben sich nicht erfüllt, da sich die Stimmen der palästinensischen Israelis auf mehrere Parteien verteilt haben, die in erster Linie den drei erwähnten Linksparteien zugute kamen. Die Friedensliste konnte ihre Stellung mit zwei Mandaten halten, während die Front einen Sitz dazugewann - ein für sie etwas enttäuschendes Ergebnis. Die Ratz ist in jedem Falle bereit, mit der Arbeiterpartei zu koalieren. Die Friedensliste und die Demokratische Front knüpfen eine Tolerierung oder gar Koalition an ein politisches Entgegenkommen von Peres - ein wahrer Drahtseilakt, denn der bisherige Außenminister bräuchte für eine Regierungsbildung auch Unterstützung aus dem nationalistischen und/oder religiösen Lager. Sollten alle Stricke reißen und weder Likud noch Arbeiterpartei eine Regierung auf die Beine stellen, gibt es immer noch die Möglichkeit, erneut eine große Koalition einzugehen - und sei es nur, um das Wahlrecht zu ändern, die Mini-Parteien aus der Knesset zu verbannen und anschließend Neuwahlen auszuschreiben.

Beate Seel