„Legaler Diebstahl“ der Versicherungen

„Bund der Versicherten“ stellt heute die Begründung seiner Strafanzeige gegen Versicherungsunternehmen und das Bundesaufsichtsamt vor / Verdacht auf Veruntreuung von Prämiengeldern  ■  Von Karl Nolte

Hamburg (taz) - Auf das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) ist Hans Dieter Meyer, Geschäftsführer des „Bund der Versicherten“ (BdV) gar nicht gut zu sprechen. Was aus dem BAV an die Öffentlichkeit dringe, sind, so Meyer in einer Stellungnahme, „dumme Sprüche und Lügen“. Insbesondere BAV-Präsident August Angerer helfe in seinem „Unverstand fleißig mit, daß die Versicherten ständig enteignet werden“. Ferner unternehme Angerer „alles, um rechtswidrigen Vorgängen den Anschein von Legalität zu geben“. Hans Dieter Meyer läßt es aber nicht bei verbalen Angriffen bewenden: Er hat bei der Staatsanwaltschaft Bonn Strafanzeige gegen Angerer und den Versicherer „Deutscher Herold“ eingereicht: „Wegen des Verdachts der Untreue bzw. des Verdachts der Beteiligung an einer Veruntreuung.“ Auf einer Pressekonferenz am heutigen Freitag in Hamburg will Hans Dieter Meyer seine massiven Anschuldigungen publik machen.

Unter den Augen Angerers, lautet Meyers Vorwurf, habe das Versicherungsunternehmen 'Deutscher Herold Lebensversicherungs AG‘ mehrere hundert Millionen Mark Versichertengelder beiseite geschafft. Geschehen sei dies durch eine simple Umstrukturierung der Gruppe: Die alte Deutscher Herold Lebensversicherungs AG hatte am 27.Juni dieses Jahres ihren Bestand an Versicherungsverträgen auf eine nur auf dem Papier neue namensgleiche AG übertragen. Im Besitz der alten Gesellschaft, die jetzt als Holding unter dem Namen 'Deutscher Herold AG‘ fungiert, verblieb dagegen ein beträchtliches Aktienpaket, das nach Ansicht des Wirtschaftsmagazins 'Capital‘ vom September 1988 „rund 350 Millionen Mark wert“ ist. Wäre das Millionen-Paket mitverkauft worden, hätte der Gewinn laut Gesetz unter den Versicherten verteilt werden müssen. Nach dem gelungenen Splitting befindet sich das Geld aber nun im Besitz von etwa 25 Privatpersonen und kann ihnen nicht mehr genommen werden. Hans Dieter Meyer nennt so etwas „legalen Diebstahl“.

Das Bundesaufsichtsamt unter August Angerer hatte der Transaktion zugestimmt. Die Begründung: Bei den verschobenen 350 Millionen handele es sich um Aktionärskapital. Damit könne der Eigentümer machen, was er wolle.

Derlei Machenschaften sind keine Seltenheit. 'Capital‘ beschreibt in seinem Oktoberheft einen weiteren Vorgang: Danach hatte die „Deutscher Herold“ bereits 1984 einmal 110 Millionen Mark Versichertengelder zur Bilanzdeckung an eine Tochtergesellschaft überwiesen - auch diese Summe ist für die Kunden verloren. Die Tochter wurde alsbald für den lächerlichen Preis von 2,4 Millionen an ein von Mitarbeitern der Herold eilig gegründetes Unternehmen verkauft und kurz darauf weiterverhökert. Heute befinden sich die 110 Millionen im Besitz einer Briefkastenfirma, die in Luxemburg residiert. deren Geschäftsführer ist ehemaliger Herold Angestellter.

Solche dubiosen Vorgänge, die trotz BAV-Aufsicht mühelos in die Tat umgesetzt werden, versetzen Hans Dieter Meyer in Zorn. Nach seiner Auffassung ist BAV-Präsident Angerer „entweder ahnungslos oder er begünstigt bewußt die Versicherungsunternehmen durch sein Versagen“. Schließlich ist das BAV die einzige vom Gesetz zugelassene Kontrollinstanz für das Versicherungswesen. Hat das Bundesamt einmal seine Zustimmung zu Bestandsübertragungen erteilt, sind die Versicherten ziemlich hilflos: Die Möglichkeit einer zivilen Klage der Geschädigten ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Wer gegen Verfügungen des BAV vorgehen will, muß schon vor das Bundesverwaltungsgericht (BVG) ziehen; denn allein diese Instanz ist für die Versicherungs-Aufseher zuständig.

Die „Deutscher Herold“ ist nun aber keineswegs das schwarze Schaf unter den bundesdeutschen Lebensversicherern. Bereits vor knapp drei Jahren hatte die „Allianz“ durch eine ähnliche Bestandsübertragung 2,1 Milliarden Mark auf die Seite geschafft. Eine Klage des BdV vor dem BVG gegen diese Schieberei liegt seitdem auf Eis. In Anbetracht der hohen Erfolgsaussicht der Versicherer bei solchem Vorgehen ist nach Prognose Meyers mit ähnlichen Aktionen anderer Konzerne schon bald zu rechnen.

Überdies sind Bestandsübertragungen nur ein Weg, Versichertenprämien in die eigene Tasche zu schaufeln. Das Versicherungsaufsichtsgesetz läßt den Unternehmen vielerlei Freiheiten. Erleichternd kommt hinzu, daß das Innenleben der Versicherungskonzerne den neugierigen Blicken ihrer Kunden weitgehend verborgen bleibt. Insbesondere wenn zu viel gezahlte Lebensversicherungs-Prämien nicht sofort ausgeschüttet, sondern vom Versicherer gewinnbringend angelegt werden, verwischt schnell die Grenze zwischem dem, was dem Kunden gehört, und jenem, was der Konzern an Eigenkapital investiert. „Manche Mark Prämiengeld wird in der Bilanz einfach als Unternehmensertrag ausgewiesen“, weiß Meyer.

Wenn ein Versicherungsunternehmen hingegen Verluste einfährt fällt der Geschäftsspitze der Griff in die Einlagen ihrer Kunden leicht - satte Dividenden für die Aktionäre bleiben von solchen Minusgeschäften regelmäßig unberührt. Der „Kardinalfehler“ im Versicherungswesen sieht Hans Dieter Meyer denn auch in der „Vermengung von Versicherten- und Unternehmensgeld in der Prämie und in den Bilanzen“.

Daß August Angerer, Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, angesichts dieser Machenschaften seiner Klientel untätig bleibt, nimmt Meyer dem Beamten übel: „Dieser Mann läßt seit Jahren völlig überhöhte Prämien zu, die nur zu einem Bruchteil für Versicherungsleistungen verbraucht werden“, schreibt er im jüngsten BdV-Info. Auf diese Anschuldigungen angesprochen, hüllt sich das BAV in Schweigen: „Kein Kommentar“, auskunftet Sprecher Albrecht freundlich und bestimmt. Der Mann kann es sich leisten: Kein geringerer als Bundesfinanzminister Stoltenberg hat einen Beschwerdebrief-Schreiber in Sachen „Deutscher Herold“ erst kürzlich wissen lassen, er „sehe keinen Anlaß, die Amtsführung des BAV zu beanstanden“.