Wackelig

■ Das Aids-Urteil des BGH

Wer als HIV-Infizierter ungeschützten oder nur teilweise geschützten Sex praktiziert, macht sich strafbar. Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung die bisherigen Urteile der vorwiegend bayerischen Gerichte gedeckt. Dabei haben die Karlsruher Richter die Vorsorge gegen eine Ansteckung erneut einseitig den Infizierten zugewiesen. Die Eigenverantwortlichkeit der jeweiligen Partner, die sich trotz der bekannten Risiken auf Unsafe-Sex einlassen, schob der BGH ausdrücklich beiseite. Als trage nicht der „Gesunde“, der in aller Regel nicht einmal weiß, ob er nicht selbst infiziert ist, ebenfalls einen großen Anteil der gemeinsamen Verantwortung.

Das Urteil ist der mißglückte Versuch, das Moment der Abschreckung und Strafandrohung aufrechtzuerhalten und die Gerichte zugleich zu einer milderen Bestrafung anzuhalten. Denn mit dem zweiten Teil ihrer Entscheidung weisen die Karlsruher Richter das harte Urteil von zwei Jahren Knast für den schwulen Koch Linwood B. an das Landgericht zurück. Strafbar soll der ungeschützte Sex schon sein, aber bitte etwas weniger.

Der Spagat zeigt, daß die Richter ihrer Sache so sicher nicht sind. Sie wissen, daß ihre Konstruktion des Vorsatzes äußerst wackelig ist. Wer will bei zwei Menschen, die sich „lieben“, unterstellen, daß der eine den anderen vorsätzlich verletzen will. Eine Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung setzt aber genau diesen Vorsatz voraus. Leichtsinn und die gefährliche Hoffnung, daß es auch ohne Kondom irgendwie gut geht, ist noch lange kein Vorsatz. Das Karlsruher Urteil hat aber noch eine andere brisante Implikation. Es zeigt die Ambivalenz des HIV-Tests. Wer sich testen läßt und von seiner Infektion weiß, wird zum Safe-Sex verpflichtet und hat den Staatsanwalt künftig mit im Bett. Wer von seiner Infektion nichts weiß und auch nichts davon wissen will und trotzdem ungeschützt drauf los vögelt, bleibt vom Staatsanwalt unbehelligt.

Manfred Kriener