Hungerstreik in der Türkei

Politische Häftlinge protestieren gegen unmenschliche Haftbedingungen / Regierung verweigert Stellungnahme  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Über 1.000 politische Gefangene befinden sich im Hungerstreik gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen: 300 Gefangene im mittelanatolischen Eskisehir, rund 170 Gefangene in den südöstlichen Gefängnissen Ceyhan, Adana, Uria, 260 Gefangene im kurdischen Diyarbakir und über 300 im Gefängnis Bayrampaca in Istanbul.

Mittlerweile bestätigen auch Vertreter der Justiz den Hungerstreik. Der Staatsanwalt in Eskisehir sprach von über 300 Hungerstreikenden allein im Gefängnis Eskisehir. Seit Beginn des Hungerstreiks haben Rechtsanwälte und Familienangehörige keinen Zugang zu den Gefangenen. Die Krankenstationen, in die lebensgefährlich erkrankte Hungerstreikende eingeliefert werden, sind von Polizei und Militär hermetisch abgeriegelt. Nur Informanten aus den Reihen des Krankenhauspersonals ist es zu verdanken, daß überhaupt Nachrichten über den Gesundheitszustand an die Öffentlichkeit dringen.

In Ceyhan, Diyarbakir und Eskisebir hungern die Gefangenen seit 18 Tagen. Sie sind erschöpft und gesundheitlich geschwächt. Dutzende Gefangene sind mit Magenblutungen in staatliche Krankenhäuser eingeliefert worden. Nach Beginn des Hungerstreiks verwehrten die Gefängnisleitungen den Gefangenen, Wasser mit gelöstem Zucker zu sich zu nehmen eine Praxis, die bei vorangegangenen Hungerstreiks üblich war. In einem Teil der Gefängnisse prügelten die Wärter alle Gefangenen der Reihe nach durch, um den Streik zu brechen. Die Staatsanwaltschaft dementierte, daß im Staatskrankenhaus Eskisebir bereits zwei der Streikenden gestorben sind. Angesichts des Gesundheitszustands der Gefangenen seien Tote in den nächsten Tagen allerdings nicht Fortsetzung Seite 2

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auszuschließen, erklärte einer der Ärzte gegenüber der taz. Ursache des Hungerstreiks ist die Verschärfung der Haftbedingungen, nachdem wenige Monate zuvor die politischen Gefangenen von den Militärgefängnissen in die zivilen Gefängnisse verlegt wurden. Zugeständnisse, die die Militärgefängnisse - nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit Todesopfern - an die Gefangenen machten, wurden in den zivilen Gefängnissen widerrufen.

Familienangehörige der Gefangenen in Diyarbakir befinden sich seit fünf Tagen im Solidaritätshungerstreik. „Wir werden todesfasten, bis die Probleme unserer Kinder gelöst sind“, so die 65jährige Sprecherin der Familienangehörigen, Semiye Bulut. Semiye Bulut brach nach dem fünften Hungertag zusammen, lehnte aber jede ärztliche Behandlung ab. Rund 100 kurdische StudentInnen führten in Diyarbakir eine illegale Demonstration zur Unterstützung der Gefangenen durch. „Die Menschenwürde wird die Folter besiegen“ wurde skandiert.

Die sozialdemokratische Opposition appellierte an die Gefangenen, den Streik abzubrechen. Prominente Juristen und der Verein für Menschenrechte befürchten Todesopfer, falls die Regierung nicht einlenkt. Von offizieller Seite fehlt jede Stellungnahme.