Punk goes Metal

■ Die halbe Punkwelt war am Wochenende zu Gast im Schlachthof: „Change Music“ feierte Geburtstag und 900 ZuhörerInnen feierten mit: Auch polnische „Deserteure“ waren da

Change Music hatte Geburtstag. Seit nunmehr zehn Jahren veranstalten die MacherInnen dieser Basiskultur-Initiative Konzerte und Festivals. Wohlgemerkt, dabei handelt es sich nicht um eisenharte Profis in der Gigszene, sondern um eine Gruppe von jungen Leuten, denen das, was sie machen, ganz einfach Spaß macht. Anläßlich des Dekadenereignisses stellte Change ein Zwei-Tage-Festival auf die Beine, das sich hören lassen konnte.

Die halbe Punkwelt war zu Gast im Schlachthof und dazu an beiden Tagen etwa 900 ZuhörerInnen. Frankreich, Polen, Holland und die USA zählten zu den Heimatländern der ausländischen Musiker, die einzige Frau unter

den insgesamt 31 Mitwirkenden kam mit F.F.F. aus Bonn. Der Anfang der beiden Pogonächte fand im intimen Magazinkeller statt, der in Anbetracht der eisigen Kälte draußen eine wohlig warme Atmosphäre bot. Nachdem die ersten beiden Gruppen losgetobt waren, die Temperatur im Gewölbe noch weiter anstieg und der Bierpegel auf dem Fußboden sowie in den Köpfen so mancher BesucherInnen den Normalstand erreicht hatte, war schon mal klar, daß es auch musikalisch eine ganze Menge zu beobachten gab. Punk goes Metal hätte es heißen können, gitarrenorientierte Vorträge bestimmten den Abend. Auch die Drummer sind es mittlerweile leid, ewig den gleichen harten Rhythmus in ihre Schießbude zu hämmern. L.W.S. aus WHV bestückten ihr Schlaginstrument gleich mit zwei Fußmaschinen, die dann auch ein höllisches Stakkato entfachten, das dem kompakten Stil der Gruppe noch mehr Wirkung verlieh.

Nach F.F.F. geriet der Schlachthof am zweiten Abend zum ersten Mal so richtig aus den Fugen. Das Spektakel war in die geräumige Kesselhalle umgezogen und Dezerter aus Warschau legte los. Die drei (git'b'dr) polnischen „Deserteure“ spielten ausgesprochen durchstrukturierte Stücke, und es war wieder der Schlagzeuger, der besondere Akzente setzte. Flexibel und mit vielen Tempowechseln drückte er seinen Mitspielern vorwärtstreibend den Stempel auf. Für eine Punkband ungewöhnlich, zele

brierte das Trio regelrecht die einzelnen Stücke. Hier noch ein Zupfen, da ein Nachstimmen, die Konzentration und Spielfreude war ihnen anzumerken.

Weit nach Mitternacht standen immer noch drei Gruppen auf dem Programm und das muntere Schlagzeugertreiben ging fröhlich weiter. Der Schwerstarbeiter der Swampsurfers aus den Niederlanden verprügelte seine Drums erbarmungslos nach Strich und Faden, während seine Bandkollegen ein ums andere Mal die Post in Richtung Speed-Metal abgehen ließen. Ein ultraschnelles Gitarrengeschrabbel brachte so manche Seele in Wallung.

Nach einem leider recht kurzem Instrumenten-Overkill von Kollaps traten dann gegen Morgen die Amerikaner Angry Red Planet an, das letzte aus dem Publikum herauszuholen. In diesem Trio war es abermals der Mann am Schlagzeug, der eine Menge Bewunderung genoß. Immerhin kommt es nicht zu häufig vor, daß neben der knüppelharten und dennoch überaus präzisen Bearbeitung der Trommelfelle auch noch der bestimmende Vokalanteil vom Drummer kommt. Nach diesem anstrengenden Trink-Hör-Musik-und Pogomarathon ist eines so sicher, wie die taz von heute. Change Music muß auch in den nächsten zehn Jahren alle erdenkliche Unterstützung bekommen.

Jürgen Francke