MUSIKALISCHE MINEN

■ Das Total Music Meeting im Quartier Latin

Vier Jahre jünger nur als das Jazz-Fest, das dieses Jahr seinen 25. Geburtstag begeht, ist das Total Music Meeting. Doch während der Große Bruder im Delphi und der Philharmonie feiert, muß der kleine ins Quartier. Hier an der Potse ist sein Platz, und er kann froh sein, daß es ihn überhaupt noch gibt, denn der Intendant der Berliner Festspiele entzog ihm dieses Jahr jegliche Unterstützung (die er seit 1975 in kleinem Ausmaß, aber regelmäßig bekommen hat). Allein dank den Leuten der Free Music Production und ihrer Fähigkeit, auch auf organisatorischer Ebene zu improvisieren, findet das Total Music Meeting dieses Jahr statt.

Warum denn, fragt sich, wird es nicht gehätschelt wie alles, das über eine gewisse Tradition verfügt? Die Antwort ist einfach und läßt sich durch einen Besuch einholen. Was hier stattfindet, ist musikalische Widerborstigkeit und Anarchie. Wer gewöhnt ist, im weichen Philharmonie-Sessel auf dem Mainstream zu schaukeln, könnte hier auf eine musikalische Mine auflaufen und dabei zutiefst erschrecken.

Joelle Leandre, französiche Bassistin, spielt ihren Baß im Sitzen und streicht ihn weniger als daß sie ihn klopft, schlägt und sägt. Dazu singt sie und schreit, zum Beispiel in einem Stück, das ihre Probleme beschreibt, mit dem Baß ein Taxi zu finden'und aus Gesprächsfetzen, Geräuschen und Sprüchen von Passanten zusammengesetzt ist. Sie spielt aber auch Stücke anderer Komponisten (zum Beispiel Cage), um dann wieder mit sich selbst (über Band) im Duo zu musizieren. Ihr Spiel ist dabei sehr subtil und der Humor nie aufgesetzt. Wenn sie ihr Instrument exzessiv abstaubt, geht dies ganz natürlich ins Stimmen über und dies wiederum in ein neues Stück, das auf den Klangstrukturen, die beim Stimmen entstehen, aufbauen.

Der Humor von Willem Breuker (Klarinetten und Saxophone) und Han Brennink (Schlagzeug) ist da schon weitaus gefährlicher. Bennink geht ob der rasenden Schnelligkeit seiner trommelnden Hände ab und zu mal ein Stock in Richtung Publikum verloren, das dann auch noch selbst schuld daran sein soll. Während Breuker sein Rohrblatt zu verblasen scheint, rennt er durchs Publikum, scheppert an den Heizkörpern, traktiert den Boden und seine eigenen Schuhe, und trotzdem verlieren beide nie den Kontakt, jagen zusammen durch verschiedene Rhythmen, sich wechselseitig antreibend.

„Total“ ist diese Musik in dem Sinne, als daß sie einen nicht in Ruhe läßt. Entweder du hörst zu oder du gehst raus, aber gemütlich dabeizusitzen, ist nicht möglich.

Hans Mahnig