„Ein gesundheitspolitischer Skandal“

■ Arbeit im ältesten Integrationsprojekt für behinderte und nichtbehinderte Kinder in Friedenau durch neue Abrechnungsmodalitäten gefährdet / Kassenärztliche Vereinigung will Behandlungen nur noch über niedergelassene ÄrztInnen und TherapeutInnen zulassen

Die Arbeit im Kinderhaus Friedenau, dem ältesten Integrationsprojekt für behinderte und nichtbehinderte Kleinkinder in Berlin, ist gefährdet. Durch eine Änderung im Abrechnungsverfahren drängt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) darauf, die Kinder nur noch von niedergelassenen ArztInnen und TherapeutInnen behandeln zu lassen. „Das ist ein gesundheitspolitischer Skandal“, erklärte gestern der Vorsitzende der Berliner Ärztekammer, Dr. Ellis Huber, denn durch diese Änderung werde das bewährte Konzept der Integration und der Behandlungsmöglichkeiten im Hause zerschlagen.

Seit 1972 haben sich engagierte Eltern und Betreuer für dieses Integrationsmodell eingesetzt. 1980 konnte in Friedenau ein Haus für die Kita gefunden werden, finanziert mit rund 800.000 Mark vom Jugendsenat. In Absprache mit der Kassenärztlichen Vereinigung war bislang nur die Kinderhausärztin berechtigt, einen Teil der therapeutischen Leistungen zu verschreiben und über die KV abzurechnen, wobei sich die Kosten auf rund 27.000 Mark belaufen. Diese Regelung will die KV nun zum Ende des Jahres ändern. Offensichtlich habe der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung den Verstand verloren, vermutet Ellis Huber und schließt sich der Empörung der Eltern und der MitarbeiterInnen des Kinderhauses an.

Insgesamt werden 51 Kleinkinder im Alter von eineinhalb bis sechs Jahren in der Kindertagesstätte betreut. 15 von ihnen sind geistig, köperlich oder mehrfachbehindert. Sie sind in Spielgruppen integriert und erhalten neben der pädagogischen Erziehung eine gesonderte therapeutische Betreuung. Diese soll nun auf Wunsch der Kassenärztlichen Vereinigung von bereits niedergelassenen Ärzten übernommen und direkt über die Krankenkassen abgerechnet werden. Zur Folge hätte das jedoch nicht nur eine Arbeitsverkürzung für die im Haus angestellte Beschäftigungstherapeutin und eine Krankengymnastin. Die Kinder müßten so auch für die angemessene therapeutische Betreuung ihre gewohnte Umgebung verlassen.

Diese KV-Entscheidung stünde im krassen Widerspruch zum Integrationsprogramm des Senats, meinen die Eltern und Betreuer vom Kinderhaus und fordern daher eine politische Entscheidung. Der Sprecher des Jugendsenats Legner wollte zu dem Streitfall gestern allerdings nicht Stellung nehmen. Er erklärte lediglich, daß die Arbeit des Kinderhauses „vorbildlich und sinnvoll“ sei.

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