RAUS AUS DEM GHETTO

■ „But what about the holocaust“ – ein deutsch-jüdisches Tanztheater

Ein offener Dialog zwischen Publikum und Bühne war die Reaktion auf eine Aufführung des Jüdisch-Deutschen Tanztheaters in den Räumen der evangelischen Matthäus –Gemeinde in Steglitz am 3.November.

„Diese Vorstellung hat in mir den Entschluß reifen lassen, die Geschichte meiner Familie während der Nazi-Zeit genauer zu hinterfragen“, so das öffentliche und spontane Bekenntnis einer deutschen Zuschauerin während der anschließenden Diskussion.

Was Ausstellungen, Fotos und Dokumente nur schwer schaffen, gelang den drei jüdisch-amerikanischen und den drei nichtjüdisch-deutschen TänzerInnen. Ihre Darstellung entpuppte sich als eine Vermittlerrolle zwischen Juden und Deutschen. Statt vereinheitlichter „Vergangenheitsbewältigung“ fordert und praktiziert die Gruppe die individuelle Begegnung.

Aus eigener Erfahrung schildert das Ensemble eine jüdisch –deutsche Annäherung als einen schmerzlichen Balanceakt, der durch Angst, Mißtrauen und Scham geprägt ist: „Wir haben uns in den Staaten kennengelernt. Doch obwohl wir uns gleich gemocht haben, ist es schwer gewesen, aufeinander zuzugehen. Rational hat wohl jeder Zahlen im Kopf, Belege, Beweise; aber gefühlsmäßig bewirkt das nicht viel. Die Geschichte steht wie ein Betonwerk zwischen uns. Wir können nicht miteinander umgehen.“

Die Biographie des Jüdisch-Deutschen Tanztheaters ist der Prozeß einer Annäherung von Juden und Nichtjuden, die nach dem Holocaust geboren sind. Ihre Zusammenarbeit ist in erster Linie ihre ganz private Eisschmelze, die sie zu Nähe und Berührung untereinander führen soll. Im Laufe von drei Jahren entwickelte das Ensemble das Musical „But what about the holocaust?“ Mörderische Vergangenheit und ignorante Gegenwart werden als ein Flechtwerk der Gegensätze sequenzhaft komponiert. Kraft ihrer Körpersprache erinnern die Mimen an Folter, Massenmord und blinden Gehorsam gegenüber einem tollwütigen Regime. Hart prallen die zackigen Bewegungen, SS-Stiefelgedröhn, das schnarrige Zitat einer Goebbels-Tagebucheintragung mit den fließenden Tänzen eines Traumes vom menschenwürdigen Sein aufeinander. Ein ruckig-rhythmisches Vaterunser erstickt das Lied einer betenden Jüdin. Die jüdische Tradition und Kultur – hier als Gabentisch symbolisiert, vor dem die Jüdin singt – wird im Dunkeln von der Bühne geschleppt.

Im Wechsel der Sequenzen entwickelt sich die kritische Fragestellung wie etwa nach dem Verbleib einer verschütteten Kultur, nach der jüdischen Gegenwart, nach dem Verhältnis zwischen Juden und Deutschen heute. Die Bühne entlarvt die Vergangenheitsbewältigung als Phlegma: „Warum verschwenden wir darauf noch unsere KONZENTRATION. LAGERhallen vollgestopft mit Akten aus der NS-Zeit... Heutzutage werden doch alle geschützt... Müssen wir auch, sonst steigen uns die Amis aufs DACH. AUßerdem ist..., aber das hat nichts mit unserer Vergangenheitsbewältigung zu tun, kann man abBUCHEN. WALD und Schnee von gestern...“

Die Betonung dieser Alltagsbrocken spiegelt den bisherigen Umgang mit der Geschichte in emotionaler Hilflosigkeit. Schuld und Scham wie nach Gebrauchsanweisung und auf Distanz.

Der tatsächliche Umgang zwischen Juden und Deutschen ist heute mit Peinlichkeiten und Verhaltensstörungen belastet. Dies betrifft die Alten und die Jungen. Selbst die Sprache versagt da als Werkzeug der Vermittlung. Manch einer kennt einen Juden nur als einen Begriff aus dem Dritten Reich, aus Witzen oder als Toten, kaum aber als Menschen oder Nachbarn. Gerade noch das Adjektiv jüdisch rettet vor dem Versprecher Jude.

„Ich kenne ja sowieso keinen Juden“, spricht in dem Musical der Deutsche aus, als nähme er schnell ein Beruhigungsmittel. Doch auf der Bühne, vor dem Publikum, sind keine Schemen, sondern Juden, die Identität tanzen. Sie sind real, nicht gemimt. Der Zuschauer kann sie nicht verleugnen. Er könnte sie berühren. Aus dieser Kontrastsituation erfährt der Betrachter seine eigene Angst und Befangenheit. Das Jüdisch-Deutsche Tanztheater kennzeichnet Barrieren zwischen Juden und Deutschen und läuft mit dem Zuschauer die Distanzen ab. Wie auf einem Lokaltermin. Der Ruf auf der Bühne „Sprecht mit mir“ gilt allen.

Die Tanzgruppe sucht die Begegnung und fordert dazu auf, über neue Umgangsformen nachzudenken. Denn Entfernung ist Ghetto und endet in: „Hab' von allem nichts gewußt!“ Was nützt der Ruf: „Sowas darf sich nie wiederholen!“, wenn zwischenmenschliche Spannungen Gespräche und Begegnungen verhindern, wenn sich Juden und Deutsche nicht wahrnehmen. Nur so schärft sich auch die Wahrnehmung für Alarmsignale, die ganz leise im alltäglichen Gesellschaftslärm unterzugehen drohen. Nicht die verschämten Gespräche in der Isolation, sondern die freie und offene Diskussion zwischen Juden und Nichtjuden ist die Basis, auf der eine ehrliche und menschliche Beziehung aufgebaut werden kann, so die Botschaft des Jüdisch-Deutschen Tanztheaters.

Klejo