Vergangenheitsentsorgung mit falschem Bezug

■ Mit einem Mahnmal soll der Zerstörung der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße gedacht werden / Abgerissen wurde sie erst 1955

Die rostigen Schienenläufe sind in den Gehsteig eingelassen, die Pflastersteine gesetzt; die Bauarbeiter verstreichen den Sand zwischen den Ritzen. Aufräumungsarbeiten - nicht der Geschichte, sondern für das Mahnmal, welches am kommenden Freitag an der Moabiter Levetzowstraße vorgestellt werden soll.

Die Epidemie der pflichtschuldig abgeleisteten Vergangenheitsbewältigung trägt Früchte auch an dieser Stelle. Von hier aus gingen in den Nazi-Jahren die Transporte jüdischer Berliner in den Tod: ein Schienenstrang, ein Waggongestell, eine Rampe sollen die Verladestation symbolisieren. Die Opfer: steinern, massig, geduckt von der Last, erstarrt im Schrecken. Mitten auf dem Gehweg steht das Mahnmal; sperrig verstellt es den Menschen den Weg, will wahrgenommen werden.

Wer wollte gegen ein Mahnmal etwas sagen? Kann es genug des Gedenkens geben, kann Gedenken falsch sein? Woran aber soll erinnert werden? An die Synagoge, die hier einst stand, wie die zeitgleiche Eröffnung mit dem Pogromgedenken jeden ungeschulten Menschen zweifellos meinen läßt? Das aber ist falsch. Denn die Synagoge überstand Pogromnacht und Krieg zwar geschändet und mit zerstörtem Dach und Innenraum, aber sie stand mit intakter Außenfassade. Abgerissen wurde sie erst in den fünfziger Jahren. Zwischen 1951 und 1956 bedurfte es dreier Sprengversuche, den widerspenstigen Koloß endlich zu Fall zu bringen. Dringenden Bedarf für öffentliche Bauten sahen damals die Bauplaner an dieser Stelle. So steht es zumindest in den Unterlagen. Tatsächlich aber passierte gar nichts. Jahrzehntelang lag das Gelände brach. Nur an der Ecke gab es lange Zeit einen Kiosk. Wer wollte dem Verdacht widersprechen, hier sei es nur um die Entsorgung einer Vergangenheit gegangen, an die niemand erinnert sein wollte?

In den siebziger Jahren erst wurde eine niedrige Ziegelmauer an der Straßenecke errichtet, mit einer verschämt im Schatten von mehreren Trauerweiden gelegenen Tafel. Sie hängt immer noch dort und ist ein Zeugnis der Geschichtsfälschung. „An dieser Stelle stand eine Synagoge. Sie wurde in der Schreckensnacht des 9.November zerstört“, lautet die Inschrift.

Die Synagoge ist weg, nun steht ein Mahnmal genau an der Stelle, wo einst der säulenbegrenzte Eingang war. Die Synagoge war Ausdruck einer existierenden jüdischen Bevölkerung, ein Beleg für jenes Miteinander, das einst für Berlin typisch war. Was ist dagegen ein Mahnmal - außer ein Ausdruck guten Willens? „Erinnerung wird als oberflächliches Melodram inszeniert. Ein beliebiges weiteres Straßenmöbel wird im Stadtbild plaziert. Ein weiteres Thema wird damit abgehakt“, sagt der Historiker und Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Addas Jisroel, Mario Offenberg.

Gerd Nowakowski