„Dukakis hat die Rechte unterschätzt“

■ taz-Interview mit Marcus Raskin, Mitbegründer des Washingtoner „Institute for Policy Studies“, der einzigen linken „Denkfabrik“ in der US-Bundeshauptstadt / Dukakis hat seine Liberalität unterdrückt und zu wenig inhaltlich argumentiert

taz: Im Frühjahr sah es ja ganz danach aus, als ob dies das Jahr der Demokratischen Partei werden würde.

Marcus Raskin: Die Demokraten sind auf der lokalen und der Bundesstaatsebene die stärkere Partei und sie werden auch weiterhin die Kontrolle über den Kongreß haben. Aber ich hatte nie Zweifel, daß die Republikaner die Präsidentschaft zu gewinnen. Dukakis kam mit dem Bewußtsein aus dem Nominierungsprozeß heraus, daß er nur von links, von Jesse Jackson, in Bedrängnis gebracht werden könnte. Er hatte noch nie gegen die amerikanische Rechte einen Wahlkampf geführt. Präsidentschaftskandidat war er vor allem geworden, weil er über mehr Ausdauer und mehr Finanzmittel verfügte als seine Gegner. Es war von Anfang an klar, daß er ein schwacher Kandidat sein würde, denn in vielen Staaten war es Dukakis in den Vorwahlen nicht gelungen, sonderliche Begeisterung zu entfesseln; er hatte keine zusammenhängende Botschaft. Was er immer wieder betonte, bezog sich auf den Prozeß des Regierens, nicht auf die Inhalte, so, als kandidiere er für das Amt eines Magistratsdirektors. Das große Problem mit Gouverneur Dukakis ist, daß er den sicherlich guten Charakter tief in ihm drin 25 Jahre lang hat unterdrücken müssen, um seinen Weg durch das amerikanische politische System zu machen. Es muß ein großer Schock für ihn gewesen sein festzustellen, daß das, was er in seinem Innersten gefühlt - seine Liberalität, sein Gefühl für die Klassen in Amerika - und was er in der Kampagne zu betonen vermieden hatte, am Ende das war, was die Leute eigentlich von ihm hören wollten.

Hat er also die Macht der politischen Rechten und ihre Kampagnen unterschätzt?

Ja, und er hat nicht erkannt, daß eine landesweite Kampagne in den USA viel komplizierter ist als irgendwo sonst. Man muß wissen, wie man verschiedene Führungsgruppen in der demokratischen Partei von links über die Mitte bis mitte -rechts benutzen und sie zu einer Koalition mit dem Ziel des Wahlsiegs zusammenschmieden muß. Leider hatte er keine Berater, die das gekonnt hätten. Er hat sich um diese Aufgabe erst, seit Anfang Oktober, gekümmert und um die Unterstützung des Zentrums und der Linken der Partei geworben. Darüber hinaus haben sich die Demokraten noch nie so einer meisterhaften Form von medialer Manipulation der Wählerschaft gegenübergesehen, wie sie die Bush-Kampagne in diesem Jahr vollbracht hat. Die Demokraten haben sich in sehr dürftiger Weise dagegen zur Wehr gesetzt.

Wenn man die Themen betrachtet, um die gestritten wurde also vor allem „Law and Order“, das Prinzip des Freigangs für Häftlinge und dieser oberflächliche Patriotismus -, wie kann eigentlich jemand mit einem linksliberalen Programm noch jemals eine Präsidentschaftswahl gewinnen?

Ich glaube, daß es möglich ist, und es wäre gar nicht mal so schwierig. Ich bin der Ansicht, daß die „Law and Order„ -Frage landesweit debattiert werden muß, genauso wie man im ganzen Land um Abtreibung streitet. Man wird viele gegen sich haben, aber noch mehr werden der Position zustimmen, welche „Recht und Gerechtigkeit“ betont anstelle von „Recht und Ordnung“. Dazu braucht es aber einen Kandidaten oder eine Partei, die darüber argumentiert, was „Recht und Gerechtigkeit“ heißen müßte. Die Botschaft der Liberalen in diesem Land leidet darunter, daß sie sich bisweilen liberaler Thesen bedient, dann aber wieder konservativer Rhetorik verfällt, nur um die Mitte nicht zu verprellen. Das Ergebnis ist Konfusion der Wähler und auch der eigenen Unterstützer. Dukakis etwa hätte viel eindeutiger von Anfang an sagen sollen: „Ich bin für ein Freigangsprogramm, ich bin für ein System, in dem die Gesellschaft, das Opfer und der Kriminelle einen Weg suchen, zusammenzuleben.“ Dabei zu helfen, ist die Rolle der Regierung. Andernfalls haben wir ein allein auf Rache basierendes Justizsystem. Dann hätte er das Freigangsmodell erklären und so die Leute zum Nachdenken veranlassen müssen. Die Demokraten haben ja keine sonderlich argumentative Kampagne betrieben, ganz im Gegenteil. Sie haben keine ihrer Positionen den Wählern wirklich erklärt. Was die Frage des Patriotismus angeht, so hängt sie mit einer ganzen Reihe anderer Fragen zusammen. Wenn US -amerikanische multinationale Konzerne sich entscheiden, im Ausland zu investieren, und damit der Arbeiterklasse in den USA schaden, oder wenn die Superreichen in ausländische Banken investieren, anstatt die amerikanischen Städte wiederaufzubauen, dann ist das überhaupt nicht patriotisch. Solche Argumente wären in der amerikanischen Wählerschaft auf fruchtbaren Boden gefallen. Das Interview führte Stefan Schaaf vor der Wah