Behördenfilz deckte jahrelang Umweltskandal

Chefs der Chemischen Fabrik AG Marktredwitz wegen schwerer Umweltgefährdung vor Schwurgericht / Sanierung des Firmengeländes kostet über 60 Millionen Mark / Keine Anklage wegen Quecksilbervergiftungen von Arbeitern / Behörden wußten jahrelang Bescheid  ■  Aus Hof Bernd Siegler

Die juristische Bewältigung einer der derzeit größten Umweltskandale der Bundesrepublik vor dem Schwurgericht in Hof an der Saale drohte am ersten Verhandlungstag an Formalien zu scheitern. Die Verteidiger der Verantwortlichen der Chemischen Fabrik AG Marktredwitz (CFM) beanstandeten die Auswahl der Schöffen, doch das Gericht wies die Rüge zurück. Vor dem Hofer Landgericht müssen sich die beiden CFM -Vorstände Dr. Rolf Tropitzsch (44) und Oskar Tropitzsch (43), die „Betriebsbeauftragte für die Abfallbeseitigung“ Lydia Tropitzsch (46) und Betriebsleiter Willi Köllner (59) wegen vielfacher schwerer Umweltgefährdungen und der Beihilfe dazu verantworten. Nicht auf der Anklagebank sitzen die Vertreter der Behörden und Institute, die den Giftskandal jahrelang gedeckt haben. Auch nicht einbezogen wegen der „schwierigen Beweisführung“ - sind Todesfälle und schwere körperliche Folgen bei Beschäftigten durch Quecksilbervergiftungen.

Im Juni 1985 mußte die älteste Chemiefabrik Deutschlands (Gründung 1788), in der quecksilberhaltige Saatbeiz-, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel hergestellt wurden, auf Betreiben des Landratsamtes Wunsiedel geschlossen werden. Die Kriminalpolizei Hof hatte kurz zuvor in dem direkt an der Fabrik vorbeifließenden Bach Kösseine eine 400fache Überschreitung der Quecksilbergrenzwerte gemessen.

Heute ist die im Herzen der 19.000 Einwohnerstadt Marktredwitz gelegene „Giftküche“ mit Nato-Stacheldraht umgeben und teilweise mit Plastikplanen eingehüllt. Arbeiter mit Gasmasken und Schutzanzügen arbeiten noch immer an der Entseuchung des Geländes. Teilweise konnten sie Quecksilberverbindungen von den Wänden kratzen, in Gruben einbetoniert fanden sie ein Sammelsurium hochtoxischer und teilweise explosiver Chemikalien. Etwa 3.000 Tonnen Giftstoffe wurden bereits in die hessische Untertagedeponie Herfa-Neurode abtransportiert. Auf bis zu sieben Meter Tiefe muß das Erdreich abgetragen werden, so hochgradig verseucht ist es. Das Landratsamt mußte ein Verzehrverbot für Kräuter und Salate aus den Gärten in der Umgebung der Giftküche aussprechen. Die Kosten der Sanierung des Fabrikgeländes werden auf 60 bis 90 Millionen Mark geschätzt.

Obwohl Staatsanwalt Heindl in seiner Anklageschrift detailliert auf 34 Seiten auflistet, wie beispielsweise hochgiftige Substanzen an der Abwasserreinigungsanlage vorbei direkt in die Kösseine geleitet wurden, ist er sich im klaren darüber, daß „die Sauerei viel größer ist als die Strafen, die zu erwarten sind“. Hinweise auf Behörden, die jahrelang von den schweren Umweltdelikten wußten, ohne aber einzuschreiten, fehlen in Heindls Anklageschrift. Die Äußerung des Firmenchefs Tropitzsch, man habe „jahrzehntelang kaum Schwierigkeiten mit den Behörden gehabt“, spricht für sich. Auch der Hinweis des Arbeits- und Sozialministers Hillermeier, das Gewerbeaufsichtsamt habe in den letzten zehn Jahren insgesamt 61 Kontrollen durchgeführt, wirft eher ein Schlaglicht auf die Art der Kontrollen, als auf sorgfältige Überwachung des Betriebes.

Außer dem Gewerbeaufsichtsamt Bayreuth, der Stadtverwaltung Marktredwitz und der Regierung von Oberfranken ist das Wasserwirtschaftsamt Bayreuth in den Skandal verwickelt. Dort wußte man spätestens 1975 von hohen Quecksilberwerten in den Sedimenten der Flüßchen Röslau und Kösseine. Jahrelang hatte die Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie in Nürnberg Hand in Hand mit dem Erlanger Institut für Arbeits- und Sozialmedizin von Dr. Valentin bei Beschäftigten der CFM statt chronischer Quecksilbervergiftungen Altersschwäche, Alkoholismus oder gar Tuberkulose diagnostiziert. Bei anderen Untersuchungen waren dagegen bereits 1981 bei 90 Prozent aller Arbeiter erhöhte Quecksilberwerte im Urin und bei 30 Prozent auch im Blut festgestellt worden. Nach zwei Todesfällen im Jahre 1981 wandte sich der Betriebsrat mit einem Schreiben an die Firmenleitung. Vieles, was jetzt in der Anklageschrift steht, wurde schon damals beklagt. Aus Unterlagen aus den 40er Jahren sind insgesamt acht auf Quecksilbervergiftungen zurückzuführende Todesfälle bekannt, die jedoch strafrechtlich in Hof ebensowenig verfolgt werden, wie die gesundheitlichen Schädigungen der Arbeiter durch Quecksilber und andere Substanzen.