Zuschauer nach § 129a-Prozeß festgenommen

Polizei stürmt Münchner Kneipe / Sieben vorläufige Festnahmen / Verteidigung beantragt Einstellung des Verfahrens gegen Janine S. und Wolfgang K.  ■  Aus München Luitgard Koch

Die Gäste der Münchner Szenekneipe „Normal“ saßen gerade beim Mittagessen als das Gebäude von einer Hundertschaft Polizei umstellt wurde. Die Straße vor dem Haus war bereits abgesperrt. Die Kneipe wurde gestürmt, alle Besucher vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Ergebnis des Polizeiübergriffs: sieben vorläufige Festnahmen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Beleidigung. „Kein Zugang für die Presse“, hieß es.

Die martialische Großaktion ist die „Begleitmusik der Staatsgewalt“ zu einem § 129a-Prozeß, der gestern vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht begann. Die Festgenommenen waren vorher als Beobachter im Prozeßsaal. Der 23jährigen Janin S. und dem 26jährigen Wolfgang K. wird die „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ nach § 129a vorgeworfen. Sie sollen im Rahmen einer „Veranstaltung zur Situation der politischen Gefangenen in der BRD“ für die „verbrecherischen Ziele der RAF“ - so die Anklage - geworben haben. Die Veranstaltung ist jedoch sofort zu Beginn von der Polizei gestürmt und anschließend verboten worden. Der Angeklagte Wolfgang K. soll ein Transparent im Saal befestigt haben. Janin Beitrag: sie mietete den Raum für die Veranstaltung an. Die BAW hat das Ermittlungsverfahren wegen „minderer Bedeutung“ am 19.5.87 an die Generalstaatsanwaltschaft am Obersten Bayerischen Landesgericht abgegeben.

Die Verteidiger reagierten gestern auf die bemüht konstgruierte Anklage der Staatsanwaltschaft mit einem Einstellungsantrag. Mit dieser Anklageschrift werde weder die angeklagte Tat klar umrissen, noch den Angeklagten deutlich vorgehalten, worin ihr stafbares Verhalten bestehen solle. Mit dem Polizeieinsatz vom November '86 habe die Staatsgewalt zum einen die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit verletzt und zum anderen unterschieb sie der Veranstaltung einen Zweck, den diese offensichtlich laut Motto nicht hatte. Die Zusammenlegung von politischen Gefangenen in großen Gruppen - so die Verteidiger in ihrem Antrag - werde seit Jahren von einer Vielzahl von Organisationen und Einzelner gefordert; von Politikern, Journalisten, Anwälten und Kulturschaffenden. Mit diesem Verfahren werde lediglich bezweckt, die Verhinderung der Veranstaltung in München nachträglich zu rechtfertigen. Außerdem solle durch die Maßnahmen vor weiteren Aktionen dieser Art abgeschreckt werden.

Die Anwälte wiesen daraufhin, daß die Staatsanwaltschaft nicht Taten anklage sondern mutmaßliche Gesinnungen. In keiner Weise sei vorhersehbar, wieweit das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gehe und wo bereits die strafbare Unterstützung der RAF beginne. „Es sind dies die Kriterien für einen Gesinnungsprozeß in dem sich die Angeklagten nur mittels Abschwörung verteidigen können“, so Verteidiger Michael Moos.

Nach kurzer Beratung lehnte der Vorsitzende Richter Fichtner den Antrag der Verteidiger, Michael Reiss und Michael Moos ab. In einer persönlichen Erklärung begründeten die Angeklagten ihr Engagement für die inhaftierten politischen Gefangenen. Sie wollte auch weiterhin versuchen die von staatlicher Seite auferlegte Isolation der Inhaftierten zu durchbrechen und sich als Menschen gegen „die Maschinerie des Staatsschutzes durchsetzen“. Die verhinderte Veranstaltung sollte ein Versuch sein, die unmenschlichen Haftbedingungen anzuprangern.

Janin S. berichtete vor Gericht über ihre gescheiterten Versuch, Kontakt mit den Gefangenen aufzunehmen. So wurden ihre Besuche bei Bernd Rösner und Helga Ross jeweils nach wenigen Minuten abgebrochen und ein... Fortsetzung auf Seite 2

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endgültiges Besuchsverbot bei allen politischen Gefangenen verhängt. Briefe und Postkarten, ja selbst Gedichte, wurden an die Gefangenen nicht weitergeleitet. Jeder Versuch der Kontaktaufnahme wurde mit Einschüchterungsmaßnahmen der Justizbehörden beantwortet. Und die Einschüchterung hält an: Auch der gestrige Polizeieinsatz kann von den Betroffenen nur als Einschüchterung empfunden werden. Die offizielle Begründung des Einsatzleiters: die vorläufig Festgenommenen hätten sich gemeinsam an einem Ort, nämlich im „Normal“, aufgehalten an dem bekanntlich Straftaten verübt, zumindest jedoch vorbereitet worden seien.