Antifaschisten allüberall

■ Welche Kämpfe im Zeichen des Antifaschismus am 8. und am 9. November 1988 am Bremer Amtsgericht verhandelt und ausgetragen wurden

Am 8. November 1988 wird im Bremer Amtsgericht darüber verhandelt, ob das, was Rudolf S., der sich als „Antifaschisten“ bezeichnet, am 17. Juli 1987 getan hat, Körperverletzung mit einer Waffe und Landfriedensbruch ist. Am 9. November wird im Bremer Amtsgericht darüber ver

handelt, ob die Tritte, mit denen Andre H. den Schüler Jan S. am 19.3.1988 nachts im Bremer Bahnhof zu Boden trat, einen Antinazi erledigen sollten oder Notwehr gegen den Angriff des Antinazi waren.

8. November. Ein Schöffen-Amtsgericht. Das „anitfaschistisch“ eingestellte Publikum, ca. 60 Leute, kämpft für eine Öffentlichkeit, bei der alle gleichzeitig im Sitzungsaal sitzen dürfen, Staatsanwalt von Bock und Polach für so viel Öffentlichkeit, wie Stühle vorhanden sind, nämlich 43. Die überzählige Öffentlichkeit soll draußen warten und rotieren. Das Publikum kämpft mit dem Slogan „Schweine! Schweine!“ und mit Tritten in den türregelnden dicken, kleinen Wachtmeister. Von Bocks Öffentlichkeit setzt sich durch. Verteidiger Horst Wesemann, goldene Rallyestreifen im Haar, kämpft mit Befangenheitsantrag, Reichsgerichtszitationen, Schöffenschelte und Nonchalance gegen den zwangskorrekten Staatsanwalt, den um Sicherheit ringenden Richter M. und für die Rechte der Öffentlichkeit. Der Richter

kämpft gegen Gelächter und Zwischenrufer. Nach mehrstündigem Muskelzeigen dieser Art begann dann doch der bleiche Rudolf S., geboren 1951, mit seinemantifaschistischen Bekenntnis und einem Bericht über den Tathergang. Mit anderen „wahren Demokraten und Antifaschisten“ hatte er die neonazistischen FAP-Anhänger an ihrem Triumphzug durch die Stadt hindern wollen, als ihr Anführer Privenau für einen erschossenen Menschen 6 Monate mit Bewährung bekommen hatte. Dabei war er im Ostertor einem Mann in den Arm gefallen, der jemanden verprügelte, hatte ihm einen Schlagstock weggerissen und ihn damit verdroschen, „so daß ich ihm mit der Gewalt gegenübertrat, die er mir gegenüber angewandt hatte“. Der Mann, den er für einen Neonazi gehalten hatte, der aber ein Sonder-Einsatz-Kommandierter war, habe wie eine Klette an ihm gehangen. Er schilderte seine Festnahme durch drei SEK -ler: am Boden liegen, Schläge in den Rücken, Anpöbelung des mit ihm festgenommenen Ausländers beim Abtransport auf die Wache

(„In der Türkei werden solche wie Du noch ganz anders behandelt“) und Diebstahl seines Portemonnaies mit 50 Mark durch die Beamten. Der erste Zeuge, SEK-Beamter Dölbers, erinnert sich nur noch, daß sein Kollege Roth von dem Angeklagten und anderen zusammengeschlagen worden ist, aber nicht daran, ob erUniform anhatte oder nicht, an irgendwelche Worte und Szenen im Polizeiauto erst recht nicht. (Die Verhandlung wird Dienstag um 15 Uhr fortgesetzt).

9.November: Andre H. hat Einspruch eingelegt. Er will nicht 1500 Mark zahlen, bloß weil er den 16jährigen Schüler Jan S., 16, nachts im Bahnhof niedergetreten und liegend in den Körper getreten hat, „damit er nicht mehr aufsteht“. Der schmächtige Schüler habe ihn mit der geköpften Bierflasche angegriffen. Jan H. fühlt sich niedergetrampelt, weil einer aus seiner Gruppe, die von einem Konzert im Schlachthof kam, „Gegen Nazis“ auf der Jacke stehen hatte. „Quatsch“ sagt Andre H. dazu, „ich habe ja selber was gegen Neonazis.“

Uta Stolle