HANS FÜRSTENBERG

■ RAFFKES

Ich selbst hatte Schweres und Gutes durchgemacht, genau wie meine Kollegen. Wir hatten zunächst einmal nach dem Kriege jahrelang ganz unzureichende Einkünfte gehabt, weil mein Vater die Entwertung der Mark nicht anerkennen wollte. Dann hatten wir, wie alle Welt, viel zu große Kreditmöglichkeiten genossen, die uns zwar ein angenehmes Leben ermöglichten, gewiß aber kein sorgenfreies, denn die Inflation hatte die besonders schlimme Eigenschaft, daß sie sich keineswegs gradlinig entwickelte. Von Zeit zu Zeit intervenierte die Reichsbank energisch. Die Mark stieg dann sprunghaft, und der gewissenhafte Schuldner konnte sich zeitweilig am Rande des Ruins erblicken.

Ich versichere, daß ich aus diesem Grunde einige der allerschlimmsten Stunden meines Lebens durchgemacht habe. Obgleich Berlin während dieser ganzen schweren Zeit leichtherzig wie am Rande eines Vulkans dahintanzte, dankte ich doch meinem Schöpfer, als man Anfang 1925 endlich an einen ernsthaften Wiederaufbau denken konnte ... Man vergesse nicht, daß ich gerade 28 Jahre alt war, als ich in diesen Hexenkessel geriet, und erst 34 zählte, als sich die Wogen glätteten. Berlin stand damals auf dem Kopf. Trotz der Unordnung der Politik, der trostlosen Verfassung der Finanzen, der furchtbaren, durch den Krieg gerissenen Lücken, des Elends, der auf unzulängliche Renten angewiesenen Witwen und Waisen hat die Reichshauptstadt wohl nie so leichtsinnig in den Tag hineingelebt wie in jener Zeit. Es gab in Massen „Kriegsgewinnler“ oder Inflationshelden, von den Berlinern mit dem Spitznamen „Raffkes“ bedacht, die mit beiden Händen Geld ausgaben und das aufpeitschten, was man an der Spree „Betrieb“ nennt. Sie wurden zu Schrittmachern einer neuen Weltstadt Berlin.

Ob es sich um die an verschiedenen Ecken aufblühenden Schlemmer-Restaurants, um die zahllosen Nachtlokale oder um den Betrieb in den Cafes des Kurfürstendamms handelte, überall wurde Berlin gerade in jener bösesten Zeit zu einer europäischen Metropole.

Der erste Anlauf hierzu hatte eigentlich erst in den letzten Vorkriegsjahren eingesetzt, bei deren Beginn ich 1912 Berlin als eine zwar sehr große, aber eigentlich nur für Musik und Theater kosmopolitische Stadt mit im übrigen noch recht provinziellen Vorstellungen und Gebräuchen verlassen hatte. Das wurde in der Inflation anders. Das Theater- und Musik-Leben, das in Berlin ja immer geblüht hatte, entwickelte sich schnell und großartig weiter, elegante Villenvororte wuchsen gleichzeitig aus dem Boden. Es war die gleiche Zeit, in der Deutschland besonders hohe Wiedergutmachungszahlungen zu leisten hatte, was meinen Vater zu der Behauptung veranlaßte, der Wiederaufbau des zerstörten Nordfrankreich finde in Dahlem statt.

Aus den Erinnerungen von Hans Fürstenberg, Sohn des 1933 verstorbenen Carl Fürstenberg, der als Direktor einer der Großbanken des Deutschen Reiches, der Berliner Handels –Gesellschaft, u.a. für die Finanzierung der Wannsee-Kolonie und die Ausdehnung der Stadt nach Westen, den Kurfürstendamm hinauf, sorgte. Ausgewählt von

Michael Trabitzsch