Softes „Ja“ der SPD zur Militärachse

Militärachse Bonn-Paris morgen im Bundestag / Wie Genscher der SPD half, die Einheit nach außen zu wahren / SPD mit Anspruch auf Regierungspartei und deshalb „mit anderer Handlungstheorie als Friedensbewegung“  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Morgen beginnt der Bundestag, die Militärachse Bonn-Paris in Gesetzesform zu gießen: In erster Lesung wird über den deutsch-französischen Verteidigungsrat debattiert, der von Kohl und Mitterand bereits im Januar beschlossen wurde. Er muß aber als Zusatzprotokoll zum Elysee-Vertrag von 1963 von beiden Parlamenten noch ratifiziert werden. Parlamentarisch eine Formalie, aber gleichwohl eine Nagelprobe für die Sozialdemokraten, wie sie es mit der Europäisierung der Sicherheitspolitik und der atomaren Zusammenarbeit mit Frankreich halten wollen. Hin und her gerissen zwischen der staatsmännischen Pose einer künftigen Regierungspartei und den eigenen Parteitagsbeschlüssen gegen nukleare Abschreckung hatten sich die Genossen monatelang in dieser Frage gewunden.

Der CDU-Abgeordnete Karl Lamers, für die Militärkooperation mit Frankreich besonders engagiert, lieferte den Sozialdemokraten jetzt noch eine steile Vorlage: Die morgige Debatte und das Abstimungsverhalten der Sozialdemokraten würden zeigen, ob ein „sicherheitspolitischer Konsens durch das Medium Europa“ mit der SPD möglich sei. Lamers machte dabei keinen Hehl daraus, wie dieser Konsens aussehen soll: Der Verteidigungsrat sei „entscheidender Beitrag“ für eine „europäischen Sicherheitsunion„; eine atomare Zusammenarbeit sei „notwendig“ und mit dem Status der Bundesrepublik vereinbar. Das Entscheidungsrecht über den Einsatz der französischen Atomwaffen will Lamers großzügigerweise dem französischen Präsidenten überlassen.

Doch die SPD-Fraktion wird den Fehdehandschuh nicht aufnehmen. Die Zustimmung zum Sicherheitsprotokoll gilt als ausgemachte Sache, nachdem Außenminister Genscher den Sozialdemokraten mit einem Halbsatz in einer „Denkschrift“ eine goldene Brücke gebaut hat. Die SPD hatte vor allem moniert, daß sich laut Sicherheitsprotokoll die Strategie der Abschreckung „weiterhin auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen muß“. Dies, so wetterte der Abgeordnete Hermann Scheer noch auf dem Parteitag in Münster, würde gar die deutsche Unterschrift unter den Atomwaffen-Sperrvertrag ad absurdum führen, wenn sich die BRD in der essentiellen Frage der Atomstrategie an Frankreich binde. „Vorbehaltlos“ dürften Sozialdemokraten dafür nicht die Hand heben, beschloß die Versammlung in Münster vage. Die Vorbehalte sind nun beseitigt: Was Genscher zuvor besänftigend in einem Brief an Horst Ehmke formulierte, steht nun auch in einer Denkschrift der Bundesregierung zum Sicherheitsprotokoll: „Eine vertragliche Festlegung auf eine bestimmte Verteidigungsstrategie geht hiervon nicht aus.“ Damit sind die Wogen im SPD-Wasserglas geglättet. Scheer:“ Die Klarstellung in der Denkschrift geht eindeutig auf unsere Initiative zurück.Das ist das Optimum, was man aus der Oppositionsrolle heraus erreichen kann.“ Daß sich die SPD ihre Oppositionsrolle damit recht billig hat abkaufen lassen, will Scheer nicht gelten lassen: „Eine Partei, die ernsthaft Anspruch auf eine Regierungsmehrheit hat, muß eine andere Handlungstheorie als die Friedensbewegung haben.“ Ihre Zustimmung zur Militärachse Bonn-Paris wird die Fraktion im Bundestag mit einer Erklärung weichspülen, laut der die Bundesrepublik und Frankreich zum „Vorreiter“ einer „zweiten Phase der Entspannung“ werden sollen.

Diese Erklärung wurde einstimmig gefaßt. Weniger einstimmig wäre es ohne Genschers goldene Brücke zugegangen: Dann hätte sich ein Teil der Sozialdemokraten genötigt gesehen, beim Sicherheitsprotokoll mit „Nein“ zu stimmen, und der schwelende innerparteiliche Dissens über Atom- und Abschreckungspolitik wäre sichtbar geworden.