Defilee der Politprominenz in der Synagoge

Nur wenige Zwischenrufe bei der Gedenkfeier des Zentralrates der Juden zur Reichspogromnacht / Lob und demonstrativer Beifall für den Bundespräsidenten / Heinz Galinski warnte vor der Verdrängung der Geschichte / Kohl gegen „Gedankenlosigkeit des Tages“  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Das Defilee nichtjüdischer Prominenz wurde gestern vormittag von den dichtgedrängt vor der Synagoge stehenden Frauen und Männern der Frankfurter Jüdischen Gemeinde recht unterschiedlich begrüßt. Sie zollten dem Bundespräsidenten demonstrativ lauten Beifall. Darüber, daß statt seiner Bundeskanzler Helmut Kohl eine der Gedenkreden zur Reichspogromnacht hielt, hatte es in den eigenen Reihen Unmut gegeben. Einige ältere Gemeindemitglieder machten ihrem Ärger vor dem Haus Luft, etliche KritikerInnen waren gar nicht erst gekommen.

Die Feierstunde des Zentralrates der Juden in Deutschland im hellen, mit goldenen und blauen Mosaiken verzierten Gebetssaal begann mit Verspätung. Die Synagoge in der Freiherr-vom-Stein-Straße ist das einzige jüdische Gotteshaus in Frankfurt, das in der Nacht zum 10.November 1938 nicht völlig zerstört wurde. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das größte und bestbesuchteste in der Bundesrepublik.

Zu Beginn begrüßte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Ignaz Bubis, Bundestagspräsident Jenninger, Bundespräsident von Weizsäcker, Kanzler Kohl, die Ministerpräsidenten der Länder, Vertreter der Stadt, der evangelischen und der katholischen Kirche, der Gewerkschaften und besonders eine Delegation aus der DDR. Er wandte sich dann an den Bundespräsidenten, aus dessen Rede zur Eröffnung des letzten Historikerkongresses er zitierte. Er mahnte: „Die Vernichtung des fast gesamten europäischen Judentums vergessen oder verdrängen oder auch nur relativieren zu wollen hieße, die Gemordeten noch einmal zu töten.“

Bundeskanzler Kohl, das in der Synagoge für Männer obligatorische schwarze Käppchen leicht verrutscht auf dem Kopf, wandte sich an die „Jüngeren“, die sich „ohne jede Spur von Selbstgerechtigkeit“ der Frage stellen sollten, was sie „in einer solchen Situation getan oder unterlassen“ hätten. Es gehe heute darum, „den Mitmenschen ohne Vorbehalt in seiner Einzigartigkeit, in seinem Anderssein zu bejahen“. Als er dann ganz besonders „junge jüdische Männer und Frauen“ und deren „besonders waches staatsbürgerliches Verantwortungsbewußtsein in unserem freiheitlichen Gemeinwesen“ lobte, mußte er sich heftige Zwischenrufe gefallen lassen. „Bitburg! Bitburg!“ schallte es zornig von der Empore. Auch die Anrede „Liebe jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger!“ stieß auf Mißfallen in der Gemeinde. „Wir sind keine Mitbürger! Wir sind Bürger!“ mußte der Kanzler sich belehren lassen. Die Mehrheit im Saal forderte jedoch energisch Ruhe von den ZwischenruferInnen, als der Kanzler zum Ende für das „zerbrechliche Geschenk des Vertrauens“ der Juden in Deutschland dankte, das leicht zu erschüttern sei, „auch durch die Gedankenlosigkeit des Tages“. Im vorher verteilten Redemanuskript hatte es in dieser Passage noch geheißen, „durch die Gedankenlosigkeit von Wohlmeinenden“. Der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann sagte, er habe die Einladung angenommen, „weil wir die Pflicht haben, uns unserer Verantwortung zu stellen“.

Heinz Galinski erinnerte für den Zentralrat daran, daß der Widerstand gegen die Judenverfolgung und -vernichtung in Deutschland gering war. „Ich habe“, sagte er, „Auschwitz nicht überlebt, um dort wegzusehen, wo Unrecht geschieht, wo Rassen- und Fremdenhaß zum Vorschein kommen.“ Er warnte davor, zu versuchen, „einen Schlußstrich unter die nicht abgeschlossene und niemals bewältigte Vergangenheit zu ziehen“. Auch er verwies auf das Beispiel des Bundespräsidenten. Die Gedenkfeier endete mit Gebeten in hebräischer Sprache und deutscher Übersetzung, in denen noch einmal die Namen der Stätten des Grauens, der Konzentrationslager, aufgezählt wurden.