Die nicht geteilte deutsche Schuld

DDR und Pogrom-Gedenken: In den offiziellen DDR-Gedenkfeiern hört die Schuld an der Judenverfolgung östlich der Elbe auf / „Antisemitismus für immer beseitigt“ / Im offiziellen Geschichtsbild sind Mittäter und Mitläufer nicht vorgesehen  ■  Aus Ost-Berlin Vera Gaserow

Vielleicht muß man jahrelang vermißt haben, daß das Wort Judenverfolgung einmal ohne den Zusatz „Widerstandskämpfer“ in den Geschichtsbüchern auftaucht. Vielleicht muß man auch die bisherige Negierung jüdischen Alltags und jüdischer Kultur erfahren haben, um in diesen Tagen in der DDR neue Töne wahrnehmen zu können. Bemerkenswerte Zeichen sehen mit der DDR vertraute Beobachter schon darin, daß die DDR -Regierung unter Einladung der internationalen Presse ein ganzes Gedenkprogramm anläßlich des 50.Jahrestages der Judenpogrome zusammengestellt hat. Für Beobachter von außen ist eher auffällig, daß in den offiziellen Reden nach wie vor zwei Worte fehlen: die Worte „Verantwortung“ und „Schuld“.

Fast eine Woche lang reihen sich in Ost-Berlin die offiziellen Gedenkanlässe aneinander: Ausstellungen und festliche Konzerte, Kranzniederlegung im Stechschritt und Nathan der Weise auf der Bühne, Wachaufzug „Unter den Linden“ und Grundsteinlegung zum Wiederaufbau der einst bedeutendsten europäischen Synagoge in der Oranienburger Straße.

Als Höhepunkte galten ein Empfang jüdischer Repräsentanten beim Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und eine Sondersitzung der Volkskammer der DDR am Dienstag. „Als Zeichen der Hochachtung und in Würdigung jahrzehntelangen Wirkens für Völkerfreundschaft und -verständigung“ verlieh Erich Honecker am Dienstag früh 21 „hervorragenden Persönlichkeiten der jüdischen Weltbewegung“ die höchsten staatlichen Orden der DDR. Honecker würdigte in seiner Ansprache dazu, „daß nicht wenige Mitglieder der KPD aus jüdischen Familien kamen“. Die KDP sei es auch gewesen, die „leidenschaftlich und entschieden“ sofort zum Widerstand gegen die Pogrome aufgerufen habe. Da paßt es schwer in dieses Geschichtsbild des gemeinsamen Widerstands unter der Führung der Kommunistischen Partei, daß die große Mutterpartei in der Sowjetunion im Wissen um die Pogrome an den Juden 1939 mit Hitler einen Nichtangriffspakt geschlossen hat.

Von dem offiziellen Geschichtsbild einer Nation aus antifaschistischen Widerstandskämpfer - und nicht etwa auch aus Mitläufern oder gar Mittätern - war auch die Gedenkstunde in der DDR-Volkskammer geprägt, zu der neben Repräsentanten des In- und Auslandes auch der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, als besonderer Ehrengast eingeladen war. „Für immer und unwiderruflich“ erklärte der stellvertretende Präsident der Volkskammer, Götting, seien in der DDR Faschismus und Antisemitismus beseitigt. Und „wir brauchen nicht die Gnade der späten Geburt um unser Gewissen vor der Welt als rein darzustellen“, spielte Volkskammerpräsident Horst Sindermann in seiner Rede auf die historische Peinlichkeit Helmut Kohls an. „Der Antisemitismus ist der Weltanschauung der Arbeiterschaft fremd“, so Sindermann weiter.

Die Führer der Arbeiterschaft, allen voran Karl Marx, hätten schon früh den Antisemitismus als „Interessenverteidigung der Herrschenden“ erkannt und konsequent auf Seiten der Juden gestanden. Wegzensiert aus dem Bewußtsein die abfälligen Bemerkungen des Karl Marx über seine eigenen jüdischen Glaubensbrüder und -schwestern. Ausgeblendet, daß es auch Arbeiter waren, die zusahen, als ihre jüdischen Nachbarn verschleppt wurden, und die als Denunzianten und Täter mitschuldig wurden. Verleugnet, daß es neben dem - so Sindermann - „selbstlosen Einsatz der FDJ für die Pflege jüdischer Gräber“ in der DDR auch gewalttätge Angriffe und Schmierereien von Skinheads gegeben hat. Die DDR ein Staat, in dem „für Rassenhaß, Antisemitismus, Faschismus und Völkerhetze kein Platz ist“, in dem „unsere Jugend das Erbe des Antifaschismus für immer bewahren wird“ (Horst Sindermann) und der „für all jene jüdischen Mitbürger, die das faschistische Inferno überlebten oder aus der Emigration zu uns zurückkehrten, zu einer Heimstatt wurde“ (Erich Honecker).

Von einem Land, in dem jüdischen Bürger eine „wahre Heimstatt“ gefunden haben, sprach auch der Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Siegmund Rotstein, der - anders als Heinz Galinski im Deutschen Bundestag - als Ehrengast vor der Volkskammer mit einer Gedenkrede zu Wort kam. „Die DDR ist unser gemeinsames Werk“ erklärte Rotstein, „Achtung, soziale Geborgenheit, umfassende Fürsorge unserer Gesellschaft und freie Religionsausübung“ seien für jüdische Mitbürger „täglich zu erlebender Alltag“. Trotz dieses Bekenntnisses bleibt die traurige Tatsache: nur acht jüdische Gemeinden mit nur annähernd 400 Mitgliedern gibt es in der DDR. Daß nur sehr wenige Überlebende des Holocausts in der DDR leben, belegt, was viele nicht glauben können: daß die Mitläufer- und Mittäterschaft nachträglich an einer künstlich gezogenen deutsch-deutschen Grenze geendet haben soll.