Freispruch für Polizeistiefel

■ 52jährige Kindergärtnerin bei Garlstedt-Demonstration schwer verletzt / Sie identifizierte den Beamten / Dennoch Freispruch / Gericht: Ein Polizist trat zu, doch zweifelhaft bleibt, welcher

Der Polizeibeamte stieg über die am Boden sitzende Demonstrantin hinweg. Dann trat er ihr von hinten mit dem schweren Stiefel gegen den Kopf. Herta Harbst, 52 Jahre alt, sackte zusammen. „Ich fiel wie in ein schwarzes Loch“, sagte sie gestern vor Gericht. Mehrere Tage verbrachte sie mit einer schweren Gehirnerschütterung auf der Intensivstation des Osterholzer Krankenhauses. Noch heute, zweieinhalb Jahre nach der Mißhandlung, hat sie Kopfschmerzen und erlebt die Szene in ihren Träumen immer wieder neu. Der Mann, der ihrer Erinnerung nach den Tritt ausführte, wurde gestern vor dem Amtgericht von Osterholz-Scharmbeck freigesprochen.

Die Kindergärtnerin Herta Harbst hatte gegen den Bau der Panzertrasse bei Garlstedt demonstriert. Im Winter 1985/86

waren die Bäume markiert worden, die dem Panzergleis zum Opfer fallen sollten. Die Gegner der Trasse hatten Nägel in die markierten Bäume getrieben, an denen sich die Sägen der Holzfäller die Zähne ausbeißen sollten. Dennoch sank Kiefer für Kiefer dahin. Kolonnen aus dem fernen Finnland waren eigens dafür angeheuert worden. Am 20. Februar 1986 wurden die Stämme auf einen Sattelschlepper geladen. Doch die Friedensinitiativen der Umgebung hatten mobilisiert: Fast 100 Menschen saßen untergehakt auf dem verschneiten Waldweg und hinderten den Lastwagen an der Abfahrt. Eine Hundertschaft Polizei versuchte, den Weg zu räumen.

Haben die Beamten dabei die Leute geschlagen, getreten, sie an Ohren und Haaren gezogen? Nein, keine Spur, sagten im Ge

richtssaal gestern die sechs Polizeizeugen, allesamt Vorgesetzte und Kollegen des beschuldigten Beamten Gerold Schultz. Auf dem Flur hörte sich das schon anders an: Gerhard Preiß, der Leiter der eingesetzten Polizei -Hundertschaft: „Das sind Mittel einfacher körperlicher Gewalt. Immer noch besser als Schlagstock oder die Chemische Keule“.

Aber auch geschlagen hätten die Polizisten und sogar die chemische Keule eingesetzt, sagte Herta Harbst. Der Angeklagte Gerold Schultz habe „wie am Fließband“ einen Demonstranten nach dem anderen mit der Faust ins Gesicht geschlagen und an den Ohren gerissen, so daß sie vor Schmerz aufgeschrien hätten. Das habe sie so empört, daß sie andere Demonstranten darauf hinwies. Das wiederum müsse Schultz wohl mitbekommen ha

ben. Jedenfalls sei er auf sie zugekommen, als sie etwas abseits am Wegrand saß, habe sie angeschrien und ihr dann von hinten gegen den Kopf getreten.

Als sie wieder zu sich gekommen war, setzte sich Herta Harbst ihrer eigenen Aussage zufolge wieder vor den Laster. Dort habe sie fast sofort Gas in die Augen bekommen. Woher es kam, habe sie nicht bemerken können.

Weder von den brutalen Aktionen ihres Kollegen Schultz noch vom Einsatz der Chemischen Keule hat einer der Polizeizeugen etwas gemerkt, obwohl mehrere Polizisten, die an der Demonstration teilgenommen hatten, das Gas in ihren Augen gespürt und auch gesehen hatten, wie es von Beamten aus nächster Nähe gegen Deonstranten eingesetzt wurde.

Einer der Zeugen war der Blumenthaler Pastor Harm-Hindrick

Ridder. Ihn hatte Frau Harbst auf die brutalen Aktionen des Beamten Schultz hingewiesen. Doch Ridder konnte nur bezeugen, daß Schultz sichtlich wütend gewesen sei. Faustschläge und Fußtritte habe er nicht wahrgenommen.

Diese Aussage eines Zeugen, „der ja auf der Seite der Geschädigten steht“, ließ das Gericht an der Glaubwürdigkeit von Herta Harbst zweifeln. Eine bewußte Falschaussage mochten die Richter ihr aber nicht unterstellten. Der Vorsitzende Pöhlmann: „In der Regel weiß man nicht mehr, was kurz vor einer schweren Gehirnerschütterung geschehen ist“. Daß Frau Harbst von einem Polizeistiefel getroffen wurde, war für das Gericht klar. Dunkel blieb ihm, wessen Fuß darin steckte. Deshalb, so der Vorsitzende, müsse gelten: „Im Zweifel für den Angeklagten.“

mw