„Die Abrüstung vor Ort überprügen“

„Grenzlandreise“ mit der osthessischen Friedensbewegung / Selbstanzeigen, weil Sprengkammern beschädigt / Tore am Fliegerhorst verriegelt / „Apache„-Hubschrauber zwischengelagert / Erlensee Stationierungsort für neue „Lance„-Raketen  ■  Von Michael Blum

Main-Kinzig-Kreis (taz) - „Habe ich sie richtig verstanden: Sie alle wollen sich wegen der Zerstörung von Sprengdeckeln selbst anzeigen?“ Der Polizeibeamte von der Wache im osthessischen Schlüchtern ist sichtlich konsterniert: „Wirklich Sie alle? Aber die Demonstration gegen die Sprengdeckel in Steinau soll doch erst noch stattfinden.“

„Nein, nicht alle wollen sich selbst anzeigen, aber wir waren trotztdem schon tätig: Drei Sprengkammern sind jetzt beschädigt, die Deckel sind gekennzeichnet und der Straßenverkehr wurde blockiert“, klärt ihn Gertrud Schilling auf. Die grüne Bundestagsabgeordnete kann den Beamten schließlich überzeugen: Zumindest die Personalien dürfen die SelbstanzeigerInnen jetzt hinterlassen. In kleinen Gruppen erhalten sie Einlaß in die Polizeistation.

„Offiziell dienen diese Sprenganlagen dazu, einen möglicherweise angreifenden Feind aufzuhalten. Tatsächlich dienen diese Anlagen in Verbindung mit dem Nato-Konzept „Stay-put“ aber dazu, die Bevölkerung am Verlassen von Kriegsgebieten und gefährdeten Regionen zu hindern“, erklärt Günter Eistel von der Friedensinitiative Bergwinkel. Nach dem Kundgebungsende scheint das Folgende nur noch Formsache zu sein: Blitzschnell wird die Straße abgesperrt, mit einer Schablone werden gelbe Totenköpfe auf die Sprengdeckel gesprüht. Für die Friedensbewegung ist die Markierung von Sprengdeckeln ein Akt des zivilen Ungehorsams und der Versuch, auf das „Stay-put„-Konzept aufmerksam zu machen, wird erklärt. Gertrud Schlilling ist es, die praktischen Anschauungsunterricht erteilt. Alle drei Sprengkammern an der Steinauer-Brücke werden mit Schere und Schürhaken sabotiert.

Den GIs fällt das nahe am US-amerikanischen Fliegerhorst Erlensee mit Kalk ins Gras gestreute „Army go home“ kaum auf. Der Hangar ist eine weitere Station der „Grenzlandfahrt“ der osthessischen Friedensbewegung. Motto: „Die Abrüstung vor Ort überprüfen.“ Als die Gruppe, mittlerweile verstärkt durch örtliche Grüne und Friedens -BIs, auf das Gelände marschiert, eilt die Military-Police (MP) herbei. Konnte das erste Tor noch für die Army-Polizei überraschend passiert werden, ist kurz vor der zweiten Eingangssicherung die MP-Kette formiert. Mit Hilfe der bundesdeutschen Polizei werden die DemonstrantInnen vom Fliegerhorst gedrängt. Die Tore werden vorsorglich verriegelt - der Haupteingang zum Hangar ist blockiert.

Das „Army Airfield Erlensee“ ist die größte US -amerikanische Liegenschaft im Main-Kinzig-Kreis. Der Kreis wurde seit 1980 in einem Maße aufgerüstet wie keine andere US-amerikanische Stationierungsregion in der Bundesrepublik. Der Fliegerhorst wurde 1934 von den Nationalsozialisten errichtet und durch den Einsatz von KZ-Häftlingen, sowjetischen und griechischen Kriegsgefangenen bis 1942 ausgebaut. Seit 1945 ist der Hangar von US-Militärs okkupiert. Seine Fläche erstreckt sich heute auf 238 Hektar. Das Airfield verfügt über 119 Gebäude, 3.000 Soldaten sind hier stationiert. Seit kurzem sind hier zusätzlich zu den über 150 ständig stationierten Army-Hubschraubern weitere 21 hinzugekommen, darunter 14 des Typs AH-64 „Apache“. Die ursprünglich für den US-amerikanischen Flugplatz Wiesbaden -Erbenheim bestimmten Helikopter sollen hier angeblich nur kurzfristig abgestellt werden. Solange, bis der Rechtsstreit um eine Stationierung in Erbenheim entschieden ist. „Die werden hier bleiben, weitere werden folgen“, vermutet Peter Seikel von der örtlichen Bürgerinitiative gegen Fluglärm und Flughafenerweiterungen. Auch ein Gutachten des Forschungsinstituts für Friedenspolitik Starnberg stützt diese Befürchtungen: Die Inbetriebnahme eines Flugsimulators speziell für die „Apache“ 1987 weise darauf hin, daß die Heeresflieger mit dem AH-64 bis 1990 ausgerüstet würden. Gleichwohl hat sich mittlerweile ein breites Aktionsbündnis aus BIs, politischen Institutionen, Parteien und Gruppierungen gegen die Ausbaumaßnahme gebildet.

Eine Großdemonstration wird für den 26.November organisiert; rechtliche Maßnahmen wurden angekündigt. In Erlensee sind außer den Heeresfliegern und der Heeresfliegerunterstützung auch Artillerie- und Flugabwehreinheiten stationiert. Die Größe der Rollbahn ermöglicht auch Großraumflugzeugen den Anflug. Schon heute dient „Erlensee als Anladehangar für die Refoger-Truppen“, meint Gerhard Karl-Rollmann von der BI-Osthessen. Tatsächlich landen in Erlensee ständig Transportflugzeuge. Zu dem riesigen Flugplatz gehört auch ein Depot im Bruchköbeler Wald. Nach Informationen der Friedensbewegung waren hier bis in die siebziger Jahre chemische Waffen und bis 1986 Atomsprengköpfe gelagert. Und seit Anfang 1987 werden die Nuklearsprengköpfe für die „Lance„-Raketen wahrscheinlich in einem unterirdischen Bunker innerhalb des Hangars aufbewahrt. Erlensee soll zudem Stationierungsort für neue „Lance„-Raketen sein, die mit einer Reichweite von 400 Kilometern (bislang 150 km) den Abrüstungsvertrag im Mittelstrecken-Bereich knapp unterlaufen. „Mit der Stationierung weiterer Hubschrauber in Büdingen und Erlensee folgen die Militärs dem 'AirLand-Battle-Konzept‘ , das eine Vorverlagerung der Streitkräfte an die innerdeutsche Grenze bedingt“, berichtet Gerhard Karl-Rollman. Hinzu käme der US -Army-Flughafen in Fulda-Sickels: Zwar hätte der hessische Ministerpräsident Walter Wallman (CDU) versichert, daß dort zu den 76 bereits vorhandenen Transport- und Kampfhelikoptern des Typs „Black Hawk“ keine weiteren stationiert werden sollen. Gleichwohl hätte das Bundesfinanzministerium nicht ausgeschlossen, daß weitere Stationierungen dort anstehen. „Falls der Erbenheim-Ausbau scheitert, werden Erlensee, Büdingen und Fulda-Sickels die Ersatzstationierungsorte.“