„It's only wishy-washy“

■ Mit einer pflaumenweichen Erklärung ging der Hamburger Weltklima-Kongreß zu Ende

Die Erwartungen waren hochgeschraubt wie nie zuvor. Doch statt nach echten Fortschritten und klaren Zukunftsvorgaben im Kampf gegen die weltweit drohende Klimakatastrophe, suchten viele Teilnehmer des Kongresses nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner auf niedrigstem Niveau. Allen war das Hemd näher als der Rock. Manche hoffen sogar, aus einer allgemein erwarteten Hitzewelle Honig saugen zu können. Andere setzen auf Anpassung an geänderte Verhältnisse.

Politiker sind furchtbare Menschen. Sie sind erstens ignorant, zweitens ungebildet und drittens träge. Die Wissenschaft muß ihnen Dampf machen. Diese - grob verkürzte

-These des Energieexperten und Hamburger Ex-Senators Meyer -Abich wurde beim Weltklima-Kongreß in der Hansestadt auf den Kopf gestellt. Bei der Verabschiedung des Hamburger Manifestes am Ende des viertägigen Klima-Marathons standen die Politiker (Scheer/SPD, Reisinger/FDP, Knabe/Grüne) auf und verlangten von der Wissenschaft vehement ein radikaleres Papier mit weitergehenden Forderungen. Nach einem regelrechten Aufstand der Kongreßteilnehmer mußte das Kongreß-Management nachbessern. Dennoch: Das Abschlußdokument des Kongresses fällt deutlich hinter die inzwischen historischen Kongresse von Toronto und Montreal zurück. Mit einer einzigen Ausnahme enthält das Papier keine eigenen Zahlen, keine Grenzwerte, keine konkreten Forderungen. Bis zum Jahr 2000 sollen die CO2-Emissionen um 30 Prozent, bis 2015 um 50 Prozent reduziert werden - „It's only wishy-washy“, diagnostizierte vor dieser spät eingefügten Präzisierung der britische Kongreßbeobachter von „Friends of the earth“. Auch ein Großteil der Wissenschaftler war von dem Output frustriert. „Ich habe die Substanz gesucht, und ich habe sie nicht gefunden“, kanzelte der Münsteraner Klimatologe Wilfried Bach die erste Fassung des Manifestes von Konferenzleiter Karpe ab, und: „Ich kann dem nicht zustimmen.“ Ohne breite Diskussion, ohne Beteiligung der meisten Wissenschaftler sei hier ein Papier vorgelegt worden, das „nichts taugt“ und „rückwärts geht“. Greenpeace-Sprecher Leipold: „Das Manifest ist ein dubioser Konsens zwischen konservativen Wissenschaftlern, Industrievertretern und ängstlichen UN -Bürokraten.“ Wilhelm Knabe: „Das Ding fällt hinter die Position des Steinkohlebergbaus zurück.“

Zufrieden waren nur zwei: Der sowjetische Klimatologe Budyko und sein Kollege aus der DDR rühmten das Papier als „deutlichen Fortschritt“. Auch der Umweltdezernent des Deutschen Steinkohlebergbaus, Gunter Zimmermeyer, dürfte allerdings hoch zufrieden sein. Der Kohle-Lobbyist Zimmermeyer hatte zuvor die Klimakrise mit seinem Referat innerhalb von 30 Minuten beseitigt. „Erscheinungen wie Dürren oder Wirbelstürme hat es immer gegeben, das sind ganz normale Klimaeffekte und nicht die Vorboten einer Klimaänderung“, wehrte er sich, und zwar mit Erfolg. Im Hamburger Manifest wird - trotz gegenteiliger Aussagen vieler - die Klimaveränderung wieder in die Zukunft verlegt.

Zimmermeyer nutzte die - objektiv bestehende - Unsicherheit und die Defizite der Klimaforschung. Die (düsteren) Szenarien für das nächste Jahrhundert seien unzulässige Extrapolationen des Ist-Zustandes, die den Fortschritt der Technik oder die wirtschaftliche Entwicklung unberücksichtigt ließen. Erst müßten gesicherte Aussagen vorliegen. Nach dem „Erkenntnisgewinn“ könne man dann weitergehende Schritte vollziehen. Die Forderungen nach einer völlig anderen Energiepolitik seien für die Bevölkerung einschneidender als die Klimaveränderung selbst. Der Kohle-Mann vertraut auf die Pufferwirkung des Ozeans, auf die kommende „umweltfreundlichere“ Kraftwerksgeneration und im übrigen sei der CO2-Ausstoß der Kohleverbrennung heute niedriger als 1970. Zimmermeyers Fazit: Abwarten.

Problembewußter und geschickter argumentierte Franz Nader vom Verband der Chemischen Industrie. Während Zimmermeyer das CO2-Problem wegzureden versuchte, ließ Nader die Forderung nach einer Reduzierung der Flourchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs), Ozonkiller und Treibhausgas zugleich, um „85 oder mehr Prozent“ als berechtigt gelten: Die Ersatzstoffe seien noch ungenügend, und ein übereilter „unüberlegter“ Ausstieg aus den FCKWs schaffe nur neue Probleme. Fast nebenbei warf Nader ein, daß eine Reduktion von 85 Prozent natürlich das Aus für die FCKW -Produktion überhaupt sei. 85 Prozent gleich 100 Prozent.

Den eindrucksvollsten und besten Vortrag lieferte Wilfried Bach, der die Klimaforschung auf politische Füße stellte. Von der Reduktion der Stahl-Produktion bis zum Tempolimit reichte sein Forderungskatalog, um den CO2-Ausstoß zu bremsen. Wenn die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf ein bis zwei Grad begrenzt bleiben soll, müsse das hauptverantwortliche Treibhausgas „fast vollständig“ eliminiert werden. Langfristig geht es nach Bachs Thesen nicht um Minimierung, sondern um Abschaffung der CO2 -Emissionen, was eine vollständig neue Energie- und Verkehrspolitik verlangt. Eindrucksvoll machte Bach den Siemens-Vertreter zur Sau, der angefragt hatte, ob nicht die Atomenergie den Ausweg aus der Klimakrise bringen könnte. Bachs Antwort: Dann müßte jahrzehntelang fast täglich ein AKW von der Größe Biblis‘ irgendwo auf der Welt in Betrieb gehen. Tausende Milliarden Mark seien notwendig. Ein Unding, denn jede Mark die in eine rationelle Energienutzung und ins Sparen investiert werde, bringe siebenmal mehr.

Die Forderung nach einem Tempolimit aktivierte den BMW -Vertreter Strobl, der wie von der Biene gestochen ans Mikrophon wieselte, um dort sein Mißfallen zu bekunden. Weitere Tempobeschränkungen in der Stadt würden den Bezinverbrauch erhöhen, warf er ein. Jeder der Lobbyisten warb ungeniert für seine Industriepolitik. Und alle waren sie am Ende zufrieden mit dem wachsweichen Hamburger Manifest. Am Ende war Konferenzleiter Karpe wohl der einzige, der in Hamburg „eine Tür aufgestoßen“ sah.

Manfred Kriener