Polizei übernimmt 129a-Prozeß

Tatort Bayern: Münchner Polizei provoziert im Gerichtssaal / Beamte nehmen Prozeßbesucher fest / Richter verliert Kontrolle über Verfahren / Drei Tage Ordnungshaft / Beweisaufnahme ohne Öffentlichkeit  ■  Aus München Luitgard Koch

Ein Greiftrupp des Unterstützungskommandos (UKS) stürmt den Gerichtssaal des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Die drahtigen Staatsschützer zerren den 23jährigen Michael B. von seinem Stuhl vor dem Richtertisch und schleppen ihn in den Innenhof. Richter Fichtner erscheint und verlangt die Zwangsvorführung von Michael B., um gegen ihn eine Ordnungsstrafe zu verhängen. „Er ist festgenommen“, rufen ihm die Verteidiger aufgebracht entgegen. Völlig irritiert und hilflos läßt der Richter daraufhin den Saal räumem.

Micheal B. ist bereits der zweite Prozeßbesucher, der am zweiten Prozeßtag des 129a-Verfahrens gegen Janine S. (23) und Wolfgang K. (27) festgenommen wird. Kaum, daß Verteidiger und Angeklagte vor Gericht gegen den Polizeisturm am Tag davor auf das Szenelokal „Normal“ protestieren können und das Gericht auffordern, die Polizei zum Schutz der Prozeßöffentlichkeit „in ihre gesetzlich gezogenen Schranken zu verweisen“, eskaliert die Situation kurz vor der Mittagspause erneut. Einer der uniformierten Polizeibeamten, die „zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ verteilt im ganzen Gerichtssaal sitzen, stößt einem Prozeßbesucher absichtlich seinen Ellenbogen in den Rücken. Mit hochrotem Kopf steht er da, als ein Prozeßbesucher seinen Namen verlangt und ihn zur Rede stellt. Seine Kollegen schleusen ihn aus dem Saal.

Gleichzeitig greift das UKS ein und zerrt den 22jährigen Mike H. blitzschnell aus der Menge. Er wird gefesselt und ins Polizeipräsidium gebracht. Auf Anordnung des Richters werden die Prozeßbesucher vom UKS aus dem Gebäude gedrängt. Als Richter Fichtner nach der Mittagspause erklärt, er habe von der Provokation des Beamten nichts mitbekommen, schreit Michael B. „Lüge“. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit und nachdem das UKS seinen Gefangenen Michael B. nochmal vorführt, verhängt Richter Fichtner eine sofort vollziehbare Ordnungsstrafe von drei Tagen gegen ihn. Inzwischen hat die Verteidigung bereits einen Aussetzungsantrag gestellt. „Ich habe den Eindruck, daß dieses Verfahren nicht mehr von dem zuständigen Richter geführt wird, sondern von der Polizei“, erklärt Verteidiger Reiss. Nicht nur die Festnahme wurde hinter dem Rücken des Richters durchgeführt: Das UKS filmte und fotografierte bei der Festnahme im Gerichtssaal.