SPD: Selbsterkenntnis pausen-und folgenlos

■ Löcher im Filz - Bremer Sozialdemokarten erst zerschlissen und dann zugezurrt statt kunstgestopft / Bürgermeister Wedemeier reagierte auf die Krise des technokratischen Krisenmanagements mit technokratischem Krisenmanagement

Was ist eigentlich passiert während der letzten Tage in den Bremer Zentren des gemütlich-undurchdringlich-mollig -hanseatischen Macht-und Genossenfilzes? Auf den ersten Blick hat er an den sowieso fadenscheinigsten Stellen ein paar Löcher bekommen, durchgewetzt vom Bürgermeister persönlich und anschließend höchstselbst mit ein paar Kreuz -und Querstichen zusammengezurrt: Der Bürgermeister sah keine Zeit für standesgemäßes Kunststopfen, zog stattdessen ein paar Köpfe aus dem Verkehr, die Unbill anzuziehen schienen wie Dachantennen das Wetterleuchten, nannte das ganze „Neuanfang“ und hoffte, so Parteibasis und Wahlvolk wieder stabil sei

tenzulagern.

Nur ein paar Zentimeter über die Nasenspitzen der ausgemusterteten Charakterköpfe hinausgedacht verbirgt sich allerdings mehr hinter dem akuten Schwächeanfall: Wedemeier interpretierte die Krise zu Recht auch als Personal-Skandal, er war gleichzeitig unfähig, sie als Strukturschwäche der SPD und seines eigenen Regierungsmanagements zu verstehen.

Es mag vor drei Jahren der gelungenste Schachzug des Koschnick-Nachfolgers Wedemeier gewesen sein, Krisenmangagement und Sparzwang zur Aufbruchsstimmung des „Mit-vereinten-Technokratenkräften-schaffen-wir's-schon“ umzuwerten und

Koschnicks lustloses Weltenbummler-Abtauchen durchs eigene Macher-Image zu ersetzen. Das Bild der Bremen-Regierung insgesamt wandelte sich von einer Ansammlung einzelkämpfender Charakterköpfe zu dem eines solide qualifizierten, flausenlosen Buchhalter-Teams. Daß dieses Konzept selbst in die Krise gekommen ist, ist dem Bürgermeister auch in den letzten Tagen nicht beigefallen: Seine Personalentscheidungen jedenfalls liegen ganz auf der Linie einer Politik, die sich vorwiegend als Personalpolitik für stromlinienförmige Krisenverwalter versteht. In der SPD -Fraktion rückte an die Stelle des um eigenes Profil auf Senatskosten bemühten Claus Dittbren

ner ein persönlicher Bürgermeisters-Intimus, an der Parteispitze verschwand ein nie ganz berechenbarer Gegner. In den Senat rückten kalkulierbar brave und loyale Organisationstalente. Wedemeier stärkte die eigene Position, indem er gleichzeitig Fraktion, Partei und Senat schwächte und die sprichwörtlich „eigenständigen Säulen“ der Partei seiner Version von „gemeinsamem Neuanfang“ unterordnete: Angesichts von absehbar neuem sachpolitischem Ärger will Wedemeier sich Ärger in und mit der Partei künftig ersparen.

Was der Bürgermeister möglicherweise übersehen hat: Der Ärger, der auf die drei Parteiköpfe herniederging, ist auch einer,

dem insgeheim die ganze Richtung schon lange nicht paßt und dem vor Scharzgeldklinik und Geiseldrama nur Opfer mit Gesichtern gefehlt haben.

Einen Wahlkampf lang, vielleicht ein Regierungsjahr, mag sich gut gemanagter Sparzwang als Landespolitik verkaufen lassen. Eine Zeitlang mag der Schuldzuweis „Der Senat tut, was er kann, die Bundesregierung verweigert uns Recht und Geld“ als Selbstverständnis einer Stadt tragen. Auf Dauer sichert kompetente Verwaltung des Mangels kaum Mehrheiten. Eine Regierung, die nur noch erklären kann, warum es keine ausreichenden Kindergärtenplätze gibt, keine dringend benötigten LehrerIn

nen, kaum Geld für Kulturprojekte, Selbsthilfe -Initiativen und ABM-Projekte, und nur noch Werftsubventionen, Flughafen-Erweiterungen, Senatoren -Autotelefone, Beamtenbeförderung und MBB -Aufsichtsratsmillionen bezahlen will, kündigt auch Loyalitäten in der eigenen Partei auf.

Ein selbstbewußterer Regierungschef hätte in dieser Situation vermutlich den Wert einer frechen Partei zu schätzen gewußt, die die WählerInnen lehrt, daß sie auch in der Krise noch gut bei Genossens aufgehoben ist. Wedemeier dagegen zog aus der richtigen Selbsterkenntnis den falschen Schluß: Die Krise ist längst auch seine eigene.

Klaus Schloesser