ICH ZEICHNE, ALSO BIN ICH

■ Fran?ois Bouillon in der Galerie Springer

Schriftzeichen als Spur der Selbstvergewisserung: einen Satz, den ich notiere, nicht nach dem Inhalt der Worte zu verstehen, sondern als Protokoll und Beweis meiner Existenz für die Zeit, in der der Kuli das Papier berührt. Bei jedem Innehalten und Absetzen des Stifts aber droht ein Sturz ins Nichts.

Fran?ois Bouillon sichert sein Sein in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf großen, braunen Papierblättern. Die Spannweite der gezeichneten Flecken, Bogen und elliptischen Körpern entspricht der Reichweite seiner Gliedmaßen; ihre Mittelachse spiegelt seine Körpermitte. In den weiß markierten Endpunkten der schwarzen Linien findet man die Abdrücke seiner zehn Fingerkuppen. Bouillon erfindet damit die Fiktion, er habe sich mit beiden Händen in das Papier hineingewischt; Impositions des mains ist seine Ausstellung betitelt. Doch seine Zeichnungen sind gegen das Verwehen geschützt, entgegen den eingegrabenen Spuren der Hände im Sand, die als Vorbild gedient haben könnten. Anders als die Fotografie, die vielleicht doch nur die optische Täuschung festhält, die an der Stelle des Subjekts sitzt, protokolliert die Zeichnung einen zeitlichen Verlauf und liefert Nachweise.

Bouillons gezeichnete Flecken oder Körper sind immer fest umrissen - ein Großteil des Papierbogen bleibt unbedeckt. Es ist unregelmäßig geschnittenes Packpapier, das in seinen haptischen und akustischen Eigenschaften von Wärme, Schwere, Dicke und Knittern viel eher einer nicht näher beschriebenen Umwelt entspricht, in der das Subjekt sich wiederfindet, als der beängstigenden Leere des weißen Papiers.

Über Bouillon, der in Paris lebt und arbeitet und jetzt bei Springer in Zusammenarbeit mit dem Institut Fran?ais zum ersten Mal in Berlin ausstellt, informiert im kleinen Katalog ein Satz: „Autodidakt mit Interesse an Alchimie, Symbolismus und primitiver Kunst - bereiste Mexiko, die Sahara und Sri Lanka.“ Da öffnet sich ein Assoziationsfeld groß wie die Wüste und alt wie die Geschichte der Alchimie, in dem das Zeichen auf dem Papier nicht zur Betrachtung für andere entsteht, sondern aus Lebensnotwendigkeit. In ihm wird über einen Lebensweg entschieden. Es ist die Sehnsucht nach der magischen Bedeutung des Bildes, die sich mit ein wenig Hokuspokus und Simsalabim nicht mehr herstellen läßt, die die Künstler heute oft zu Jägern und Sammlern von Zeichen werden läßt.

Katrin Bettina Müller

Fran?ois Bouillon, Impositions des mains, Galerie Springer bis 20.11., Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr.