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NAMEN SIND SYMBOLE

■ Von der alltäglichen Verharmlosung

Mit dem Erwachen eines verstärkten Geschichtsbewußtseins in der Republik wird seit einigen Jahren auch intensiver die Auseinandersetzung um Namen von Straßen, Plätzen, Häusern und auch Kasernen geführt. Seit mehreren Monaten tobt im sonst stillen schwäbischen Bayern in Füssen die Schlacht um die General-Dietl-Kaserne der Bundeswehr. Benannt nach einem Wehrmachtsgeneral, der nach dem von der katholischen Friedensgruppe „Pax Christi“ vorgelegten Beweismaterial seit 1919 NSDAP-Mitglied und glühender Anhänger Hitlers war.

Vor Jahren setzten sich die Düsseldorfer Studenten dafür ein, daß ihre Universität den Namen von Heinrich Heine trägt. Dies war genauso vergeblich wie der Kampf um die Karl -von-Ossietzky-Universität in Oldenburg.

Mit ihrem neuen Buch zu Berliner Straßennamen dokumentiert die Berliner Geschichtswerkstatt zahlreiche Auseinandersetzungen der letzten Jahre in der Halbstadt um die Vorschläge zur Umbenennung von Straßen. Dies kann auch Hilfe und Anregung für Initiativen in anderen Städten sein.

Anspruch auf Vollständigkeit erhebt das Buch nicht. So bleiben die Initiativen für eine Tucholksy-Straße in Moabit unerwähnt, wo dieser berühmteste Berliner Satiriker geboren wurde, oder auch jüngste Versuche, den Platz vor der Deutschen Oper in „Benno-Ohnesorg-Platz“ umzubenennen, da dort am 2. Juni 1967 der Student Ohnesorg bei der berühmt -berüchtigten Anti-Schah-Demonstration von der Polizei erschossen wurde.

Die Einführung in das Thema ist ein Artikel über den Berliner Stadtplan von Januar 1946. Der Plan war in doppelter Hinsicht ein „Plan“: Er sollte wie jeder Stadtplan zur Orientierung dienen, er hatte aber außerdem schon die „geplanten“ Neuerungen der Straßennamen aufgenommen und sie nur leicht verschämt „vorbehaltlich der Zustimmung des Magistrats“ in kleine rote Klammern gesetzt.

Da müssen die Berliner nicht schlecht gestaunt haben. Natürlich mußte der Adolf-Hitler-Platz und die Hermann -Göring-Straße verschwinden. In antifaschistischer Einigkeit sollten aber auch die Symbole des preußischen Militarismus wie die Sedanstraße und die zahlreichen, nach preußischen Generälen benannten, Straßen nach freiheitlichen Dichtern und Widerstandskämpfern umgetauft werden. Für 1.600 der etwa 10.000 Berliner Straßen war Umbenennungsvorschläge gemacht worden. Die Vorschläge blieben größtenteils in der Frostperiode des Kalten Krieges auf der Strecke. Im Stadtplan von 1947 war die Welt wider in Ordung. Also keine Mühsam-, Tucholsky- oder Jack-London-Straße, keine Aufbaustraße und kein Engels-Platz.

Im Kapitel über den „Vorreiter im Norden“, den Bezirk Reinickendorf, wird mit Witz und Ironie beschrieben, wie dieser Bezirk unter seinem ersten Bürgermeister, Erich Böhm, auf eigene Faust Umbenennungen vornahm. Etwa 30 ermordete Widerstandskämpfer kamen zu einer Straße. Das hielt zwei Jahre, bis auch dort die alte Ordnung fast überall zurückkehrte, und die Antifaschisten den alten preußischen Generälen weichen mußten. Nur der russiche Dichter Maxim Gorki hatte offensichtlich das Glück und durfte bleiben.

Interessant aber auch beschämend ist das Kapitel über das sogenannte Fliegerviertel in Neutempelhof nahe dem Flughafen Tempelhof. Am „Tag der Luftwaffe“, am 16. April 1936, waren auf Initiative von „Reichsminister der Luftfahrt“ und „Reichsjägermeister“ Hermann Göring die Straßen der Siedlung nach Piloten des Ersten Weltkriegs wie Manfred von Richthofen, Boelke, Immelmann oder Voß umbenannt worden. Etwa 20 „Fliegerhelden“ fanden sich auf den Straßenschildern Neutempelhofs. Nach dem Ende der Nazidiktatur sollten auch hier andere Leute geehrt werden. Die Vorschläge zur Umbenennung nach pazifistischen Politikern und Schriftstellern wie Erich Mühsam, Ernst Teoller, Franz Werfel, Berta von Suttner oder Lilly Braun wurden aber ebenfalls nicht verwirklicht. Schon damals betätigte sich wie auch heute - die CDU als Bremser. Die SPD verzichtete trotz der absoluten Mehrheit auf die Durchsetzung (na eben spd. sezza) ihrer Vorstellungen. Der Senat setzte sogar noch eins drauf und begann 1957, die „Straße 417“ in Udset-Zeile, nach einem weiteren „Fliegerhelden“ aus dem Ersten Weltkrieg, der bis zu seinem Selbstmord 1941 den Nazis treu gedient hatte. Alle späteren Versuche der Umbenennung sind bisher gescheitert.

Zwei Kapitel beschäftigen sich mit den Frauen im Stadtbild, ihrer (Stadt-)planmäßigen Unterdrückung und ihrer Erwähnung „unter Straßenniveau“, denn meist hat es nicht einmal zu einer „Straße“ gereicht. Für Marie Juchacz, die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, war ein Weg ebenso ausreichend wie für das ehemalige Reichstagsmitglied Anna Nemitz. Die Juristin und Widerstandskämpferin Elisabeth-Charlotte Gloeden muß wie Johanna Kirchner mit einem Pfad vorlieb nehmen. Auf „Straßenniveau“ befindet sich hingegen Johanna Stegen, die sich in den sogenannten Befreiungskriegen durch Munitionslieferungen hervortat und mit einer, die Sedanstraße kreuzenden, Straße passenderweise geehrt wird.

Lesenswert auch die Berichte zur Initiative der „Rosa -Luxemburg-Brücke“, die es heute immer noch nicht gibt, da sich das Berliner Abgeordnetenhaus nicht dazu durchringen konnte. Hingegen gibt es seit September 1987 wieder eine „Graf-Spee-Brücke“, die Wiederholung einer Namensgebung für eine wieder errichtete Brücke, deren Vorläuferin 1933 die Nazis von Lützow-Steg in Graf-Spree-Brücke umbenannt hatten. Die West-Berliner Verwaltung hat sich wohl bei der Wiederholung der Namensgebung nichts gedacht - oder doch?

Erwähnenswert auch der Kampf der Schüler der Fichtenberg -Oberschule in Steglitz, den benachbarten Dietrich-Schäfer -Weg umzubennen. Da die Schüler nicht locker lassen, diskutiert die Bezirksverordnetenversammlung (absolute CDU -Mehrheit) den Antrag jetzt schon zum zweiten Mal. Die Schüler haben inzwischen die Nase voll und griffen zur Selbsthilfe. Sie stellten im November 1987 in der Straße eine Erklärungstafel zum ideologischen Wegbereiter der Nazis auf, die aber nach wenigen Wochen zerstört wurde.

Bei so vielen abgeblockten Initiativen sollte man sich wirklich überlegen, ob es sich lohnt, den Kampf um die Symbole aufzunehmen. Es könnte ja auch Etikettenschwindel daraus werden.

Das hat Wolf Biermann gemeint, als er in den siebziger Jahren sein Lied mit den Acht Argumente(n) für die Beibehaltung des Namens ‘Stalinallee“ für die Stalinnallee sang.

Jürgen Karwelat

Sackgassen, Keine Wendemöglichkeit für Berliner Straßennamen, 144 Seiten, zahlreiche Abb., 24DM, Nishen Verlag Berlin 1988, hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt

Berliner Stadtplan von 1946, Dokument einer verpaßten Vergangenheitsbewältigung, Nachdruck der Originalausgabe, Berliner Geschichtswerkstatt 1988, 10DM. Beides zu beziehen über Berliner Geschichtswerkstatt, Goltzstraße. 49, 1000 Berlin 30.

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