Aufschiebende Wirkung

Das Cadillac-Syndrom greift um sich  ■ K O M M E N T A R

Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe lieber doch auf morgen, ist die Devise der derzeitigen Koalitionspolitik. Ob auf Bezirksebene zum Cadillac, ob im Abgeordnetenhaus am sinnfälligsten bei Polizeifragen: Es wird geschoben, verschoben, verwiesen, vertagt. Bloß keine Entscheidungen treffen, bevor man nicht weiß, ob sie den WählerInnen auch genehm sind, bevor man nicht weiß, wer die nächsten Bezirksverordnetenversammlungen besetzt und wie die nächsten Senatoren heißen. Die Hinhaltetaktik der Koalition sorgte etwa dafür, daß nur wenige Wochen vor der Wahl eine der ödesten Plenarsitzungen stattfinden konnte: Wenn teilweise nur 17 von 144 Abgeordnete der Sitzung beiwohnten, dann auch deshalb, weil jede(r) von vornherein wußte, wer was sagen würde.

Die unorthodoxe Entscheidung, den Cadillac lieber erst später zu verpflanzen, die die Option offen hält, es dann doch nicht tun zu brauchen, hat ähnliche, aber eher innerparteiliche Gründe. Noch ist nämlich nicht gesagt, ob in „Sowjetisch-Wilmersdorf“ die Hassemer- oder die Dohm -Linie siegt. Der festgefahrene Cadillac ist nun genauso aus der Diskussion, wie alle die anderen Karren, die die Koalition oder besser: Eberhard Diepgen vorsorglich und vorläufig aus dem Dreck gezogen hatte. Die Mietmisere wird erst in der nächsten Legislaturperiode MieterInnen tiefer in die Tasche greifen lassen, an die Arbeitslosigkeit hat man sich gewöhnt. Selbst Mitteleinstieg, Hundescheiße und Baustellen, die wahrlich metropolengerechte Wahlkampfschlager zu werden versprachen, sind vom Tisch. Folgerichtig wenden CDU/FDP das Prinzip der Nichtbehandlung auch beim Skulpturenboulevard an. Sich zu wirklich brennenden Themen zu äußern, wie etwa zur Rede Jenningers, ist wohl der Berliner Koalition zu heiß, zumal der Rücktritt des Bundestagspräsidenten für eine aufschiebende Wirkung sorgt.

Rita Hermanns