: CAPPUCCINO PERFAVORE!
■ Mitleidsvolle Verwunderung für den Urlauber
Der Toskana-Tourismus findet statt - aber ist er ein kulturelles Ereignis?
Von hier unten betrachtet, erscheint er eher als ein Naturphänomen, eine Begleiterscheinung des Sommers, eben wie die Zikaden und Mücken - eine Plage ist er aber nicht! Im Gegenteil, er ist beliebt, er bringt Geld und Abwechslung sogar in das entlegenste Kaff, wo man ohne ihn bald vor Langeweile stürbe. Die Eingeborenen haben längst aufgehört, sich zu wundern, warum bloß die Tedeschi so notdürftig gekleidet sind, wo sie doch aus einem so reichen Land kommen, und warum sie ausgerechnet in der Mittagsglut schlafende Orte durchwandern; auch, daß sie den Cappuccino zu jeder Tageszeit, sogar am Abend, trinken, haben die Einheimischen hinzunehmen gelernt.
Die eigentliche Frage, die die Invasion aus dem Norden jedoch aufwirft, ist die: Warum kommen sie überhaupt? Gerade auf dem tiefen Lande, fernab von klassisch touristischen Kulturzentren, ist die Frage tatsächlich spannend. Öde Gegenden, Geisterlandschaften, von den Bauern längst verlassen und gemieden, werden zunehmend von Deutschen frequentiert. Erst kam einer, dann zwei, dann viele. Hier und da haben gewiefte Aussteiger ein Gemäuer abgestützt und vermieten Bettgestelle an Urlauber (gerne an taz-Leser!).
Je öder die Gegend, desto spannender das Aufeinandertreffen der Nationen beziehungsweise deren Vertreter: der auf dem Lande zurückgebliebenen bäuerlichen Alten, für die der Komfort einer zentralbeheizten Zweizimmerwohnung ein unerschwinglicher Luxus ist, und den bundesdeutschen Zivilisationsflüchtlingen, die sich nach der Urerfahrung rustikaler Bescheidenschaft sehnen. Sorgfälig umkreisen sich diese beiden Volksgruppen, ohne jedoch jemals zu kollidieren: Die Deutschen, immer auf der Suche nach irdischen Paradiesen und Objekten der Bewunderung, lächeln, was das Zeug hält, als könnten sie so, trotz sprachlicher Unzulänglichkeiten, ihre Message vermitteln: Ich bin zwar nur ein blöder Tourist, aber doch ein bißchen anders als die anderen, und ich finde das alles hier ganz toll und euch dazu!
Die Einheimischen nun, den Heimvorteil nutzend, zeigen sich gönnerhaft, denn die Urlauber scheinen ihnen bemitleidenswerte Kreaturen aus einem kalten Land, in dem man alle Speisen zu Brei verrührt (hauptsächlich Kartoffeln), und so lächeln sie begütigend zurück: Ihr sollt ruhig teilhaben dürfen am Bella Italia, wo die Sonne scheint und der Wein so wenig kostet, zumal ihr dann ja doch wieder zurück müßt in Gott weiß für eine Hölle!
Fazit: Eher als Verständnis erweckt der Tourist mitleidsvolle Verwunderung beim ortsansässigen Betrachter. Dieser, meist in Gestalt eines alten Mannes vor der Bar sitzend, stutzt einen Moment, betrachtet mit ungenierter Neugier den sonderbaren, am liebsten den weiblichen, Fremdling und denkt sich seinen Teil, bevor er das Pik-As wirft. Von einer, die hier unten lebt.
Stefanie Risse
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