Aus der zweiten Etage hat man mehr Sicht

Gespräch mit dem Berliner Justizsenator Rehlinger zu Haftbedingungen und Gesinnungswandel  ■ I N T E R V I E W

taz: Die Verlegung der zwei Strafgefangenen Angelika Goder und Gabriele Rollnik aus der Haftanstalt Moabit in die Frauenvollzugsanstalt Plötzensee war angekündigt worden als Verbesserung der Haftbedingungen. Was bedeutet das konkret?

Rehlinger: Wenn Sie sich die Örtlichkeiten ansehen, dann sehen Sie einfach von der Örtlichkeit her eine Verbesserung. Die Zellen liegen luftiger, die Strafgefangenen haben mehr Aussicht, es ist ein modernerer Bau. Ganz handfest hatte die Verlegung zwei Gründe: einmal muß der Sicherheitstrakt in Moabit renoviert werden, zweitens lohnt es sich nicht, den Sicherheitstrakt für zwei Strafgefangene, mehr waren da jetzt nicht mehr, weiter zu betreiben. Und drittens ist damit verfolgt worden, den beiden Strafgefangenen durch einen Wechsel der Örtlichkeit in diese moderne Vollzugsanstalt dort in Plötzensee und in die andere Umgebung die Möglichkeit zu geben, sich innerlich ihrer Umgebung mehr aufschließen zu können. Es ist ja dort auch ein neuer Versuch begonnen worden, sie mit anderen Gefangenen zusammenzuführen. Es ist Ihnen sicher berichtet worden, daß die beiden dort Kontakt zu anderen Gefangenen aufgenommen haben.

Sie sagen, dieser Bau ist moderner, luftiger. Man kann dort jetzt auch die Fenster öffnen. Aus meiner Perspektive ist es erschreckend, daß das acht Jahre lang in Moabit nicht so war.

Das trifft nicht den Kern dessen, was ich meine. Leider haben Sie es nicht gesehen. Die Unterbringungsräume liegen in der zweiten Etage, von dort aus hat man mehr Sicht hinaus. Wenn ich herausgucke, ist das von der zweiten Etage aus etwas ganz anderes als wenn ich vom Erdgeschoß heraus auf weitere Mauern schaue. Dieses meine ich, wenn ich sage, daß die Atmosphäre dort insgesamt sicher günstiger ist. Unter dem Gesichtspunkt eben, durch die Verlegung in die neuen Räumlichkeiten ein Stück mitzuhelfen auf dem Wege, daß der Resozialisierungsprozeß vorangeht, das heißt, daß sie sich wieder mehr der Gesellschaft öffnen.

Ein wesentlicher Punkt ist doch, daß die beiden dort in einem Trakt getrennt von den anderen Gefangen zu zweit isoliert sind. Es gab da auch einen konkreten Antrag der beiden Gefangenen auf Zusammenlegung mit drei anderen gefangenen Frauen im Hochsicherheitstrakt Lübeck. Das ist abgelehnt worden. Was befürchten Sie eigentlich bei einer Zusammenlegung?

Ihre Frage zielt im Kern darauf: Müssen die beiden Frauen noch im Sicherheitstrakt bleiben. Normalerweise könnten sie in den geschlossenen Vollzug überführt werden, was wir liebend gern tun würden. Aber kein Gefangener kann verlangen und hat auch keinen Anspruch darauf, nun mit ganz bestimmten Gefangenen zusammen behandelt und versorgt zu werden. Wir würden sie ohne weiteres aus dem Sicherheitstrakt in den allgemeinen Vollzug überführen, wenn dies aus Sicherheitsgründen möglich wäre. Dieses ist bei der Haltung der beiden Frauen leider zur Zeit nicht möglich.

Bei der Haltung der beiden. Geht es da um die Gesinnung?

Ich habe die Hoffung, daß sie aus ihrer geistigen Isolierung, in der sie sich befinden und die sie einengt, herausfinden. Sie sind doch auf ganz bestimmte Vorstellungen fixiert und haben ein Bild von der Welt, wie es nicht stimmt, und das sie hindert, sich von Gewalt zu lösen. Deshalb ist der Vollzug bis zum heutigen Tag gezwungen, besondere Sicherheitsmaßnahmen anzuwenden.

Die Sonderbedingungen und die Isolierung bestehen von Beginn der Haftzeit an. Geht es also darum, das Weltbild, die geistige Haltung zu ändern?

Wir verstehen unter Resozialisierung, daß der Gefangene bereit ist, sich in die Gesellschaft, in diesem Fall auf die Täter bezogen, in die pluralistische Gesellschaft wiedereinzuordnen. Das ist doch der Punkt. Und daß weitere Straftaten nach Möglichkeit ausgeschlossen scheinen. Das ist die Idee, nach der wir arbeiten.

Frau Goder hat seit Jahren ein schweres Hüftleiden. Da gibt es seit 1984 ein langes Hin und Her über die Umstände einer notwendigen Operation. Eine lange Zeit ging es dabei um die Bewachung direkt im Krankenzimmer. Frau Goder sagt, unter den Bedingungen der Zweierisolation sei die Rekonvaleszenzzeit nicht realisierbar. Das ist nun alles sehr kompliziert verlaufen, warum kann man im Sinne des Heilungsprozesses nicht Haftverschonung gewähren?

Haftverschonung setzt eine Untersuchung durch den Arzt voraus, der feststellen muß, daß der Gefangene aus medizinischen Gründen nicht haftfähig ist. Dieses ist hier nicht der Fall. Der Gesundheitszustand von Frau Goder ist zumindest zur Zeit so, daß sie aus medizinischen Gründen weiter in der Anstalt sein kann. Das ist eine ganz einfache Geschichte. Hinsichtlich der Operation ist Frau Goder von Seiten des Vollzugs in einer Weise entgegengekommen worden, wie ich es bisher überhaupt noch nicht erlebt habe. Sie kann entweder in ein Haftkrankenhaus oder in eine öffentliche Spezialklinik. Aber es ist doch nun selbstverständlich, daß in einem öffentlichen Krankenhaus jemand dabei sein muß, der aufpaßt, daß sie nicht verschwindet.

Im Krankenzimmer? Es wären ja die Flure und alles darum herum bewacht gewesen. Einmal ganz abgesehen davon, wie sie denn mit dieser Krankheit verschwinden soll.

Sie kann ja entführt werden. Da gibt es genügend Möglichkeiten. Das hat es doch schon alles in der Bundesrepublik gegeben.