ob das alles mal anders wird?

■ Die politischen Töne sind etwas weniger geworden: Aber Franz-Josef Degenhardt ist noch immer ganz der Alte, unverdrossen nimmt er Partei für die Außenseiter

Es muß 15 Jahre her sein, daß ich Degenhardt zum letzten Mal live erlebt habe - in Berlin wars, in einem großen Saal mit tausend ZuhörerInnen. 1988 haben sich die Dimensionen geändert: auf dem Orchesterboden des Packhauses passen 120 Leute. Kann man ihm das anlasten, daß die Zeiten andere geworden sind? Und was macht er aus diesen veränderten Zeiten?

Im ersten Teil scheint es so, als sei er ganz der Alte: seine bilderreiche Sprache, die er in manchmal nervigem und nuschelnden Sprechgesang ausbreitet, seine poetische Gesellschaftsanalyse, die oft mit Sprüngen und filigraner Ironie arbeitet, seine Vorliebe für Außenseiter - das alles kennt man von ihm seit Jahren. Er besingt Hennes Stumper alias Nevada-Kid, den Edelweißpiraten, ebenso wie die Säuferkumpane vor Aldi (eine illustre Ansammlung von Drop -Outs inklusive eines 68er-Veteranen) oder Onkel Richard, der - arbeitslos gewor

den - in seinem leerstehenden ehemaligen Betrieb haust, dort alles tiptop hält, dabei „Marmor, Stein und Eisen bricht“ singt und Bandoneon spielt, während er auf einen ominösen Erlöser aus dem Jenseits wartet, der das alles wieder auf Vordermann bringt. Er tut das in jener Sprache, die „gerne alles klein und weich kaut, aber immer auf der Lauer liegt“

-ein Hinweis auf sein heutiges Selbstverständnis?

Die offensichtlich politischen Töne scheinen etwas leiser oder weniger geworden zu sein; „ob das alles mal anders wird“, weiß er nicht - er singt nur „dieses“ Lied für diejenigen, ohne deren Taten und Mut das alles noch schrecklicher wäre.

Erst nach der Pause wird er deutlicher, aber dann taucht auch gleich das altbekannte Problem des politischen Liedermachers auf: die bekannte Wahrheit wird zum soundsovielten Male vorgekaut, und das Publikum beklatscht nur die eigene Haltung.

Auch die Bemerkung zum Fall Jenninger - „wie so viele unter uns will er kein Nazi-Bewunderer sein, aber er schafft es nicht!“ - wird der Vielschichtigkeit des Phänomens kaum gerecht; Reduktion führt eben nicht immer gradlinig zur Wahrheit.

Degenhardt ist ein Stück Kulturtradition. Sympathisch auch, daß er nicht die alten Lieder singt (obwohl sicher viele darauf gewartet haben); er läßt nur ab und zu alte Figuren auftauchen: Rudi Schulte, Natascha Speckenbach, Schmanthoff und die Schmuddelkinder. Ein Dichter zitiert sich selbst mittels seiner Figuren.

Seine musikalischen Begleiter Steve Baker und Jan Reimer sind Extraklasse, aber sie wirken trotz aller Virtuosität etwas deplaziert; es bedarf sogar einer Erinnerung, daß er sie schließlich vorstellt. Und ganz am Schluß kommen sie dann doch, die Schmuddelkinder: in neuem Gewand zwar, aber vom Publikum begeistert beklatscht.

JüS