Friedensrufe beim Heldengedenken

■ Volkstrauer: Viel Betrieb auf den Friedhöfen, der Tag der Kriegsgräberfürsorge, Protest gegen den Jäger 90 und alte Nazis am Kriegerdenkmal / Altmannhöhe mit neuem Zaun gesperrt

Sekundenlang kam mir das Szenario zum Volks-Trauer-Tag auf dem Osterholzer Friedhof selbst wie eine Schlachtordnung vor, wie zwei gegnerische Blöcke, von denen der eine unaufhaltsam auf den anderen, reglos stehenden, zumarschiert.

Die einen: Ein gemessener Zug von Kranzträgern vorn, dann prominente Gedenkredner, rund 150 KapellgängerInnen, ein paar Uniformierte aus Polizei, Bundeswehr und Marine. Unter herbstlichem Sonnenregenhimmel waren die Kranzträger zwischen der Gedenkstunde in der Kapelle und

dem Losgehen noch schnell in Ordnung, in Reih‘ und Glied gebracht worden: die dicken Kränze (von Senat, Bürgerschaft und den dänischen Gästen) in die erste, die drei kleineren (schwarzrotgold vom Bundes-Verteidigungs -Minister, von der israelischen Gemeinde, dem Volksbund Dt. Kriegsgräberfürsorge) in die zweite Reihe.

Die anderen: FriedensaktivistInnen um die Deutsche Friedens Union (DFU), die mit Schirmen und Buchstaben-Plakaten „Abrüsten statt Jäger 90“ quer im Friedhofs-Hauptweg standen und den

Trauer- und Gedenkzug reglos auf sich zu und an sich vorbei defilieren ließen.

Aber beides ist längst bremischer Ritus, gehört zu diesem Novembertag wie die Hochkonjunktur der Irisch-Moos-Gesteck -Stände und der übervolle Friedhofs-Parkplatz, die Sammelbüchsen der Kriegsgräber-Fürsorge und der Nieselregen. Vor der stummen Mahnwache der PlakatträgerInnen bog der Zug wie in allen Jahren zuvor scharf rechts ab, zur Kranzniederlegung „an den Gräbern der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Man kannte sich gegenseitig, nickte sich in der Kurve zu. Eine alte Dame kommentierte die schweigenden DemonstrantInnen: „Find ich richtig! Die Toten kommen ja vom Krieg! Mein Mann auch! Wenn man überlegt, daß die nicht hingemußt hätten!“

Nicht nur an gefallene Soldaten, sondern an die Opfer durch nationalsozialistische Massenvernichtung hatte in der Kapelle Volksbund-Chef Dr. Walter Franke erinnert und sich dann umstandslos bei den Vertretern der Bundeswehr für die Sicherung des Friedens bedankt. Der dänische Bürgermeister Ove Christensen aus Frederikshavn, wo der Volksbund seit 30 Jahren

Kriegsgräberpflege betreibt, war auf „die Konflikte der Gegenwart“, die heute „tickende Bombe“, nämlich die Umweltverschmutzung zu sprechen gekommen. Der noch amtierende Senator Konrad Kunick hatte seine Rede mit der Aussicht geschlossen, „daß wir auch Schlachtfelder für alle Zukunft überwinden können - wenigstens in Europa“.

Vaterland, Schützengräben und alte Kameraden hatten am Vormittag mit Blasorchester und Gedenkreden die Heimkehrer -Verbände beschworen. Am Kriegerdenkmal am Fuß der Altmannhöhe legten rund 40 ältere Herrschaften Kränze der Heimkehrer-Ortsvereine Steintor, Fin

dorff/Schwachhausen und Walle/Utbremen ab. „Ihr“ Denkmal aber, das umstrittene Heldenmal oben auf der Altmannhöhe, war erst vor kurzem mit einem schweren Zaun unbegehbar gemacht worden.

Im Inneren lagen trotzdem drei Kränze: „Stahlhelm“, „nationale Front“ und „Deutsche Volksunion“ hatten sich nicht abhalten lassen. Regensicher in einen Melitta -Gefrierbeutel verpackt hatte „ein Kamerad“ den gefallenen Soldaten einen Zettel an ein paar Tannenzweige geheftet und vor den Zaun gelegt: „in Stellvertretung mancher anderen, die am ungestörten Gedenken in diesem Mahnmal gehindert sind“.

Susanne Paas