Scheibengericht: Fretwork / Mike Batt / Kronos Quartett / W.A.Mozart / Motor Totemist Guild / Penguin Cafe Orchestra / Arthur Honegger / Carl Davis / Laibach / Gerhard Polt und die Biermösl Blosn / Ambitious Lovers

FRETWORK

Armada. Virgin Classics CDVC790722-2

Im Jahre 1588 versenkt die englische Flotte unter Sir Francis Drake die spanische Armada, vernichtete damit die spanische Supermacht und ermöglichte den Aufstieg der englischen. Vorher standen beide Nationen in einem höchst spannungsvollen Verhältnis zueinander: Die dramatische Kunst hat bis in die einschlägigen Piratenfilme davon gezehrt. Nun hat das englische Gambenensemble Fretwork auf seiner zweiten Platte mit Hilfe des Kontratenors Michael Chance Musik von den Höfen Philipps II. und Elizabeth I. zusammengestellt, und dabei zeigt sich, daß der Stand der musikalischen Entwicklung in den kulturellen Zentren dieser Zeit sich nicht wesentlich unterschied - wohl auch deshalb, weil beide ihre künstlerischen Produkte gelegentlich austauschen konnten und beide unter dem Einfluß der italienischen Musik standen. Freilich ist das, was William Byrd, Antonio de Cabezon, Elway Bevin, Diego Ortiz oder Robert Parsons komponiert haben, nicht nur musikhistorisch bemerkenswert: zum Beispiel Cabezons dichter Gambensatz „Diferencias sobre el canto La Dama le demanda“, der später durch mehrere Eingriffe zum Kirchenlied „Du hast, o Herr, dein Leben, dein heilig Fleisch und Blut“ verödet wurde, oder das über kühle Motivkombinationen entwickelte „Pour down, you pow'rs divine“ von Robert Parsons mit dem eingelagerten Klagelied „No grief is like to mine“, das druch Michael Chances Intonationskunst in jener artifiziellen Anmut gehalten wird, mit der es überleben konnte.

MIKE BATT

Songs of Love and War. RCA PL 71827

Mike Batt hat wieder mal alles getan, um mich abzuschrecken: sein unveränderter Hang zu Kitsch und Bombast, die gewöhnliche Kombination von London Philharmonic Orchestra, Perkussion, Rockformation und Elektronik, die immer gleichen Effekte, der sture Wechsel von chorischem Refrain und Instrumentalsolo - alles ist so erschreckend berechenbar, bieder und konservativ, daß er es vediente, verschwiegen zu werden. - Vielleicht doch nicht restlos. „Six days in Berlin“ war ja, gemessen an allem anderen, eine geradezu experimentelle Platte. Und: Wer, außer Batt, hat denn noch die Fähigkeit, so stimmig zu arrangieren? Denn daß er ein feines Gefühl für Klangverbindungen hat, kann man ihm paradoxerweise nicht absprechen. Ab und zu gelingen ihm auch poetische Bilder, die einem im Kopf bleiben: „All promises and words of love are lies, / There ist no compromise, / Seen through the eyes of the Lion of Kandahar.“ Die Neugier auf seine Musik aber ist ein semtimentales Laster, sagt mir mein Löwenverstand.

KRONOS QUARTET

Winter was hard. Elektra/ Nonesuch/ WEA 979 181-1

Darüber gibts immer wieder Streit. Das Kronos Quartet ist unglaublich gut und es ist abscheulich. Ja, wie denn nun? Das Kronos Quartet weiß, daß es unglaublich gut ist; Komponisten aus allen Lagern reißen sich darum, ihm neue Stücke anzubieten. Die verehrten Musiker wählen mit spitzen Fingern das Verkaufbarste aus, werfen sich in die Show -Trikots, sind unglaublich gut, begeistern aund werden gefeiert. Sie erreichen das, wovon die anderen träumen. Ein Teil ihres Erfolgs beruht sicher auf ihren Mischprogrammen. Neben Philip Glass und Conlon Nancarrow setzen sie Jimi Hendrix, zwischen Charles Ives und Bela Bartok stehen Jon Hassell und Ornette Coleman. Man sagt mir, das sei Prostitution (und das Scheibengericht Zuhälterei: ich erwarte täglich den Kollegen Staatsanwalt). Wie so oft ist der kriminelle Sachverhalt knapp daneben angesiedelt, in der marktgerechten Häppchenkultur. Warum haben sie von Kevin Volans‘ „White Man Sleeps“ nur den ersten und den fünften Satz eingespielt und dazwischen anderes gesetzt? Das ist ein vekaufsstrategischer Eingriff in die kompositorische Struktur. Abgelehnt. Auch auf „Winter was hard“ hinterlassen kommerzielle Überlegungen gestalterische Spuren. Die Klangkultur der Kalifornier macht Anton Weberns „Sechs Bagatellen op9“ zum Gesang einer Amsel, die sich in ihrer Gefangenschaft wohl fühlt, und setzen hinter diese Filigranarbeit - wir können auch anders - John Zorns „Forbidden Fruit“ mit seinen schrillen Anfangsakkorden, die alles Webernsche zunichte machen. Sonst gibt es noch betörende gespielte Musik von Aulis Sallinen, Terry Riley, Arvo Pärt, John Lurie, Astor Piazzolla (das schwächste Stück), Alfred Schnittke und Samuel Barber, nach dessen ätherischem Adagio ein Windgeräusch anschwillt. Dann, mit Monsterstimme: „A door is ajar“, die Tür wird zugeknallt; „Thank you“. Kronos ist unglaublich.

WOLFGANG AMADEUS MOZART

Requiem d-Moll KV626. Maria Venuti, Sopran; Ursula Kunz, Alt; Josef Protschka, Tenor; Peter Lika, Baß. Münchner Bachsolisten; Windsbacher Knabenchor, Karl-Friedrich Beringer. Bayer Records CD BR 100 051/ Helikon

Das Requiem ist nicht gerade eine Rarität im Schallplattenangebot. Eine Neuveröffentlichung mußte schon mit guten Gründen erfolgen. Diese Aufnahme liefert gute Gründe gegen eine Veröffentlichung. Viele, über die man sich streiten kann, betreffen die Tempi, mit denen oft bei Verlust der Spannungsbögen zu viel Rücksicht auf die Ausführenden genommen wurde, und Unstimmigkeiten des produzierten Klangbilds. Der Hauptgrund aber ist der Windsbacher Knabenchor. Hat denn niemand gehört, wie oft der falsch intoniert? Im Konzert ist man ja bereit, in solchen Fällen beide Ohren zuzudrücken: Das Risiko der Knaben in höheren Lagen ist ebenso wenig vermeidbar wie das beim Horneinsatz. Aber wer bringt schon die Patzer auf Platte!? Spätestens beim „Rex tremendae“ hätte man mehr proben oder abbrechen müssen. Vor Furcht.

MOTOR TOTEMIST GUILD

Shapuno zoo. NoMan'sLand RTR 8

Das ist eine merkwürdige Mischung, die sich der kalifornische Poet, Performancekünslter, Experimentalfilmer, Musikerkomponist (ich lasse einiges weg) James Grigsby da ausgedacht hat. Das gleitet von der Tanzstruktur in die Vokaldeklamation, wie man sie aus den „Winter Songs“ von „Art Bears“ kennt (die Sängerin Emily Hay ist auch imstande, mit der Stimme Dagmar Krauses zu singen), von den Charakteristika der Neuen Musik in Free-Jazz-Passagen, da tauchen minimalistische Abschnitte auf und rockmusikalische Einsprengsel. Auf dem Plattencover wird in hoher kalifornischer Poesie gegen die Abholzung der brasilianischen Regenwälder und die Zerstörung indianischer Kulturen gesprochen, die vertonten Texte sind was für Rätselfreunde, die Musik dieses Kammerensembles aber ist auch da, wo ich nichts mit ihr anfangen kann - eigensinnig und ungefällig. Da wird nichts Naturhaftes vorgetäuscht und nichts Altbackenes ausgegraben. Grigsby ist ein Künstler und er hat ein Kunstgebilde komponiert.

PENGUIN CAFE ORCHESTRA

when in rome... Virgin 209 269-630

Live-Mitschnitte haben ja oft nur den Sinn, der fehlenden Begeisterung des Plattenkäufers argumentativ den Jubel des Konzertpublikums entgegenzusetzen. Das „Penguin Cafe Orchestra“ aber fühlt sich in der Londoner Royal Festival Hall dem Publikum verpflichtet, und unter diesem Druck entsteht präzises und spannendes Musizieren. Die meisten Kompositionen von Simon Jeffes gehen von Spielfiguren aus, auf denen Schlagwerk, Streich- und Zupfinstrumente in effektvoller Staffelung ihre Motive und Kantilenen entwickeln. Das ist nicht angestrengt entworfen und nicht anstrengend zu hören, sondern im besten Sinne musikantisch.

ARTHUR HONEGGER

Film Music. CSR Symphony Orchestra (Bratislava), Adriano, Marco Polo CD 8.223134

CARL DAVIS

The Silents. The London Philharmonic, Carl Davis. Virgin CD VC 7 90785-2

Vermutlich zufällig sind beide CDs zur gleichen Zeit erschienen. Selbst wenn man keine Ahnung hat, wer Honegger, wer Davis ist, weiß man nach Anhören beider Platten: Honegger ist der Komponist, Davis der Filmkomponist. Und das, obwohl Honegger mehr als 40 Filmmusiken geschrieben hat. Die Tradition der Filmmusik hat ihre spezifischen Normen herangebildet und ihre eigenen Versatzstücke. Honegger, der 1955 starb, stellte den Szenen durchkomponierte Musikstücke zur Seite, in denen vor allem innere Monologe gestisch verarbeitet waren. Er illustriert und erzählt intensiv (auf der Platte sind nur Stummfilmmusiken): die Musik könnte ihrerseits anregen, Filme dafür zu drehen. Davis dagegen hat das Nachkriegs -Hollywood, Morricone, Korngold und John Williams im Rücken. Er läßt sich Zeit, bevor er aus der Klangmalerei zur gestischen Aktion kommt - er ist viel besser als die Fertigbau-Komponisten - verfolgt aber oft genug mit dynamischem Überdruck die Überwältigungsstrategie. Neben Carmine Coppola haben beide Komponisten die Musik zu dem vierstündigen Napoleon-Film von Abel Gance geschrieben, Honegger die Originalversion von 1926/27, Coppola und Davis die rekonstruierte Fassung aus dem Anfang der achtziger Jahre. Bei aller Ungerechtigkeit, über die dieser Vergleich hinweggeht: Von Honegger bekommt man nicht nur die meisten Geschichten, in seiner Musik ist auch am besten Geschichte aufgehoben. Sie ist nicht in einen Film über die achtziger Jahre verpflanzbar. Die Honegger-Platte enthält noch die Ouvertüre zu „La Roue“ (1922) und die Suiten „Les Miserables“ (1934) und „Mermoz“ (1943). Auf der Davis-Platte befinden sich Auszüge aus den Neukompositionen für „The Crowd“, „Flesh & The Devil“, „Show People“, „Broken Blossoms“, „The Wind“, „The Thief of Bagdad“, „The Big Parade“, „Greed“ und „Old Heidelberg“.

LAIBACH

Let it be. Stumm 58/INT 146.845

Fast alle Songs der gleichnamigen Beatles-LP sind hier durch den Wolf gedreht, außer „Let it be“. Aber witzig ist das nicht. Denn das ist kein realistischer Kommentar zu den verlorenen Illusionen der Beatles-Generation wie in der „Money„-Version der Flying Lizards; das hört sich eher wie ein Racheakt an denen an, die die Platte kaufen, weil sie dem Original einmal verbunden waren. „Get back“ ist nach gewohnter Laibach-Manier in martialische Töne übersetzt, für „Across the Universe“ haben sie den Opus Dei Chor angestellt, der das kitschige Stück nach Schülerart herunterseiert, „I've got a Feeling“ wird zum Schlachtruf verwandelt und „Maggie Mae“, das alte Volkslied aus Liverpool, wurde ersetzt durch „Auf der Lüneburger Heide“ und „Was gleicht wohl auf Erden“. Selbst wenn man diese Dummheit übergehen könnte - was sich da musikalisch abspielt, ist das Langweiligste, was Laibach je veröffentlicht hat.

GERHARD POLT UND DIE BIERMÖSL BLOSN

Mood Rec./ Zweitausendeins 28664

Erstaunlich, mit welcher Sicherheit die Gebrüder Well bayerisches Liedgut in gute Lieder verwandeln, also das darin Angelegte aktualisieren - und nur so läßt sich mit Tradition sinnvoll umgehen. So werden die volkstümlichen Stanzen zum ironischen Kommentar zu den Spottgesängen über die bayerische Weise, Politik zu betreiben, den alpinen Weg, den Katholizismus zum eigenen Nutzen zu betreiben oder die Irrfahrt der verseuchten Molke. Beeindruckend der starke dreistimmige Gesang und die sorgfältig ausgeführten Instrumentalteile. Und für alle, die die Biermösl Blosn nur für rechtschaffene Stadlmusikanten halten, gibt es eine Überraschung: die Variationen über das Thema „Carneval di Venezia“, in denen sich Christoph Well als souveräner Trompetenvirtuose erweist - einfach nur mal so, als wäre das so üblich. Auch Gerhard Polt läuft zur Hochform auf, hält eine furiose Politikerrede, der man nur das Schwadronieren mit Prozentangaben entnehmen kann, und spricht russisch.

AMBITIOUS LOVERS

Greed. Virgin 209 177-630

Die „Ambitious Lovers“ sind Arto Lindsay und Peter Scherer, der Keyboards und Schlagzeug bedient und der - wie vorher schon „Ambitious Lovers/ Envy“ (1984) - „Greed“ auch produziert hat. Wie beim ersten Projekt half eine Reihe prominenter Musiker bei der Realisation. wieder ist Arto Lindsay agil und ausdrucksstark, kraftvoll und anrührend lyrisch. Aber auch sonst ist diese Platte der ersten so ähnlich, daß man vermuten muß, die beiden Liebhaber sind mit ihrem Repertoire zufrieden und richten sich jetzt darin ein. Meint Lindsay das, wenn er singt: „I can't help it. I'm the king. Don't be scared kings don't mean a thing“?