Aus der Wunderwelt der Metapher

■ Kleine Anleitung zum „präzisen Gebrauch von Sprache“ - ohne moralische Dimension

Gabriele Riedle

Alle Menschen sind Schweine alle Schweine sind Menschen? Zwei Sätze, die dieselben Wörter verwenden, sagen noch lange nicht dasselbe. Ihre Bedeutung richtet sich jeweils danach, welches Element des Satzes mit einer Metapher belegt wird. Im ersten Satz sind die Menschen Subjekt, im zweiten die Schweine. Auch „gaskammervoll“ als Bezeichnung für den Zustand einer Disko ist eine Metapher. Noch nicht einmal ein „Wortspiel“ wie „Euternasie“, bei dem ein Wort mit zwei Bedeutungen belegt wird. Hier bleibt eine Gaskammer eine Gaskammer.

Aber egal ob Metapher oder Wortspiel, beide funktionieren nach denselben sprachlichen Grundregeln. Beim metaphorischen Sprachgebrauch unterscheidet man zwischen „Bildspenderbereich“ und „Bildempfängerbereich“. Bedeutung entwickelt die Metapher im Bildempfängerbereich als dem Gegenstand der Aussage. Dabei werden „eigentliche“ Begriffe, Bilder oder Vorstellungen durch „uneigentliche“ ersetzt. Die ursprüngliche Vorstellung verändert damit ihre Bedeutung. Die neue, meist aus einem anderen Bereich der Wirklichkeit genommene Vorstellung, verändert ihre Bedeutung eben gerade nicht, sonst wäre der Austausch überflüssig.

Die metaphorische Aussage „Klaus ist ein Schwein“ bezieht sich auf Klaus und nicht auf das Schwein. Sie sagt nichts über die Wesensart des Schweines. Würde auch die bildspendende Vorstellung „Schwein“ ihre Bedeutung in der Metapher verändern, würde also das Schwein zum Menschen werden, wäre die Bedeutung der Metapher „Klaus ist ein Mensch“, was unmöglich das Interesse des Zeterers sein kann. Bedeutungslos kann die Metapher „Klaus ist ein Schwein“ also nicht etwa durch die zunehmende Vermenschlichung der Schweine werden, sie wird es höchstens durch die zunehmende Verschweinung der Menschen, weil auch Peter, Ursula, Wolfgang und Katrin Schweine sind, weil also alle Bildempfänger desselben Bildspenders geworden sind. Als Bildspender für eklige Menschen wird das Schwein untauglich.

Ähnlich verhält es sich für „die Disko war gaskammervoll“. Bildspender ist die Gaskammer, Bildempfänger ist die Disko. Und nicht umgekehrt. Die Gaskammer verliert in dieser Metapher kein bißchen ihres Grauens, die Disko wird dafür um so grauenvoller. Ersetzt wird in der Metapher die Vorstellung der netten Disko durch die Gaskammer, nicht umgekehrt. „Zum Vergleich freigegeben“ (Hartung) werden hier nicht die Ermordeten der Gaskammer, sondern die Disko. Aber die muß man nicht erst zum Vergleich freigeben. Sie ist immer schon frei, wie alle Begriffe, Bilder oder Vorstellungen von der uns umgebenden Wirklichkeit, die ja immer eine erst sprachlich herzustellende ist, frei sind. Es gibt grundsätzlich nichts, womit man eine Gaskammer vergleichen kann, auch nicht mit den stalinistischen Lagern, wie uns gewisse Historiker glauben machen wollen. Eine Disko aber läßt sich grundsätzlich mit allem vergleichen, auch mit der Gaskammer. Ob eine Disko in diesem Vergleich gut getroffen ist, bleibt dahingestellt. Ob die Metapher geglückt ist, ebenfalls. Meiner Meinung nach ist sie es nicht. Zu disparat sind die beiden Bereiche, obwohl es sicherlich viele gibt, die in einer Disko von Klaustrophobie oder Panik überfallen werden.

Doch es gibt solche, die keine Metaphern schreiben können, und solche, die sie nicht lesen können und Kapielskis Satz lesen wie „In Auschwitz ging es zu wie in einer Disko“. Wenn Arno Widmann bemerkt, aus einer Disko können man rausgehen, aus der Gaskammer nicht, dann ist das eine Antwort auf diesen Satz, den Kapielski nicht geschrieben hat. Arno Widmann dreht ihm tatsächlich das Wort auf dem Papier herum. Doch Metaphern sind nicht umkehrbar. Wer sie doch umkehrt, bildet Mythen: Alle Schweine sind Menschen.

Natürlich geht es nicht darum, was der Autor gemeint hat, sondern um das, was er geschrieben hat, und wie man das verstehen kann. Es ginge auch nicht um Wörter, es ginge um Assoziationen, wurde immer wieder festgestellt. Tatsächlich, die Metapher arbeitet mit der Assoziation. Kapielski hat zu einer Disko eine Gaskammer assoziiert. Er hat eben nicht zu einer Gaskammer eine Disko assoziiert. Dies ist der entscheidende Unterschied. Die Leser hingegen vollziehen eine Bewegung, die Kapielskis Satz selbst nicht gemacht hat. Sie assoziieren zur Gaskammer - Mord, Vernichtung, Qual, Grauen... Das Wort und mit ihm die Assoziationen erwischt sie eiskalt von hinten, aus dem Zusammenhang gerissen - denn die Metapher reißt immer aus dem Zusammenhang. Es fehlt das kontemplative und letztlich ordnende und beruhigende Umfeld historischer Debatten, Filme und Erzählungen. Es werden keine Ebenen zur Verfügung gestellt, auf denen man sich bewegen könnte, nicht die der Trauer und nicht die des Nachdenkens. Aber wer Gaskammer liest, denkt an die Gaskammer auch wenn er gar nicht daran denken will. Deshalb ist das Wort, wenn es unerwartet erscheint, ein Angriff auf die Psyche jeden Lesers, mich eingeschlossen, der damit hilflos allein bleibt. Die Disko war gaskammervoll ist jedoch kein Angriff auf die Opfer der Gaskammer (wie Die Gaskammer war wie eine Disko). Ihr Leiden wird von ihm nicht reduziert. Der Satz enthält keine antisemitische Stimmungsmache (wie man müßte ein paar reiche Juden schlachten). Und antisemitische Stimmungsmache ist, wie ganz richtig - wenn auch in einem völlig falschen Gedankengang gesagt wurde -, kein Stilmittel. Stimmungsmache ist zielgerichtet. Das Stilmittel Metapher macht nichts anderes, als kombinieren.

Die notwendige genaue Analyse der Kombination von Disko und Gaskammer, die Richtung der Assoziationen, ist im Augenblick des Angriffs auf die Psyche von uns allen durch das Wort Gaskammer und alle seine tödlichen Folgen für sechs Millionen Juden und für seine moralischen Folgen für die Täterkinder und -enkel nur mit äußerster Mühe zu vollziehen. Ehe man aber das Risiko eingeht, daß teilweise langjährige Kollegen öffentlich kurzerhand zu Neofaschisten gestempelt werden, sie so zum Abschuß frei gibt, das dann als „eine der glücklichsten Entscheidungen in der Geschichte der taz bezeichnet“ (Widmann), und selbst der integrative Wolfgang Neuss „zwei infizierte Nazis umarmen“ möchte, muß man sich dieser Mühe unterziehen. Ein Standardwerk zur Metapherntheorie heißt übrigens „Bild gesegnet - Bild verflucht“.

Bleibt die Gefahr des Klaus-ist-ein-Schwein-Effekts, der eine ganz andere Dimension der Verharmlosung beinhaltet. Linke mit „wachsamer, ewig deutscher und somit präziser Wahrnehmung“ (auch so ein inkriminierter Satz von Kapielski, der doch nichts anderes bezeichnet, als eine eben durchaus geschichtsbezogene und nur in Deutschland solcherart notwendige Wahrnehmung) benutzen Bezeichnungen wie Tier -KZ für Tierversuchsanstalt, Gauleiter für Gauweiler, Rassenhygieniker für den AL-Abgeordneten Volker Härtig, Blockwart für den wachsamen Zeitungshändler und nicht zuletzt Faschisten für die engsten Kollegen. Vielleicht sind bald nur noch Nazis um uns und also wieder keine. Und vielleicht haben wir dann keine Metaphern, keine Bildspender mehr, um die Bedrohung durch unsere Gegenwart zu bezeichnen. Dies ist aber ein Problem des Umgangs mit der Zukunft und nicht mit der Vergangenheit, wie immer behauptet wird.

Klar ist, ich wiederhole es zum Schluß lieber noch einmal, daß die Gaskammer für uns niemals zum Bildempfänger werden darf. Sie war es lange genug - als „Dusche“, „Desinfektionsanstalt“ usw. Sie ist es heute noch, wenn von der „Tragödie von Auschwitz“ oder von der „dunklen Zeit“ die Sonntagsrede ist, und auf das Morden Bilder von Schicksal, göttlicher Fügung, griechischem Theater, von einer vorübergehenden Nacht, die zwangsläufig zum Licht führt, übertragen werden. Gerade hier ist unsere Präzision gefordert, die aber im Tageszeitungs-Metaphernsturm meist untergeht. Dafür sollte man sich dann auch wirklich schämen!

Gabriele Riedle